Reflexivität in der Lehrerausbildung: Heilsbegriff oder Suche nach einem umfänglichen Professionsbegriff?

By Ulf Algermissen | January 3, 2014

Summary: Both German and international discussions stress that heterogeneous educational contexts which, for example, have inclusivity requirements demand a higher degree of reflexivity from all educational stakeholders. In the “Individual Expansion of Learning” module, students at the University of Heidelberg have the opportunity for one semester to engage with a child’s learning disorders, enhance a child’s learning, as well as reflect and report on this engagement both experientially as well as academically. To investigate the potential of the development of teaching with respect to individual pedagogical action, a summary of students’ contributions on their implemented individual enhancements were examined.

Резюме: Как в немецкой, так и в международной дискуссии подчеркивается, что гетерогенное школьное окружение требует, например, посредством инклюзивных вызовов всем школьным агентам высокой степени рефлективности. Студенты университета Гильдесгейма имеют возможность в течение семестра в модуле «Индивидуальная помощь в обучении» знакомиться с трудностями процесса обучения ребенка, оказывать ребенку индивидуальную помощь, рефлектировать эту помощь, как на уровне переживаний, так и научно и отразить все в отчете. Для зондирования потенциалов развития учения в отношении индивидуализированной педагогической деятельности исследуются резюмирующие работы студентов по осуществленной ими индивидуальной помощи на рефлектированные категории.

Zusammenfassung: Sowohl in der deutschen wie in der internationalen Diskussion wird betont, dass heterogenere Schulumgebungen z. B. durch inklusive Herausforderungen allen schulischen Agenten ein höheres Maß an Reflexivität abfordern. Studierende der Universität Hildesheim haben die Möglichkeit, sich im Modul „Individuelle Lernförderung“ ein Semester lang mit den Lernstörungen eines Kindes auseinanderzusetzen, ein Kind individuell zu fördern, diese Förderung sowohl auf der Erlebnisebene als auch fachwissenschaftlich zu reflektieren und in einem Bericht zusammenzufassen. Zur Sondierung von Entwicklungspotentialen der Lehre bezogen auf individualisiertes pädagogisches Handeln werden in diesem Artikel Resümeebeiträge von Studentinnen und Studenten zu der von ihnen durchgeführten Individuellen Lernförderung auf reflexive Kategorien untersucht.

Einleitung

Mehr als gestern und weniger als morgen.
Rimbaud und die Dinge des Herzens. Samuel Benchetrit.

„Die Vermittlung von pädagogisch relevanten Wissenszuwächsen mit den jeweiligen biographisch erworbenen Bewusstseins- und Umgangsformen muss jeder Lernende selbst leisten. Kein Studienangebot als solches würde den Lehramtsstudierenden diese Arbeit abnehmen können – aber ein pädagogisch möglichst angemessenes könnte sie organisatorisch rahmen, praktisch unterstützen und ihre Bewusstmachung pädagogisch-theoretisch fördern“ (Ilien, 2009, 194). Sowohl in der deutschen wie in der internationalen Diskussion wird betont, dass heterogenere Schulumgebungen z. B. durch inklusive Herausforderungen allen schulischen Agenten ein höheres Maß an Reflexivität abfordern. Studierende der Universität Hildesheim haben die Möglichkeit, sich im Modul „Individuelle Lernförderung“ ein Semester lang mit den Lernstörungen eines Kindes auseinanderzusetzen, ein Kind individuell zu fördern, diese Förderung sowohl auf der Erlebnisebene als auch fachwissenschaftlich zu reflektieren und in einem Bericht zusammenzufassen. Zur Sondierung von Entwicklungspotentialen der Lehre bezogen auf individualisiertes pädagogisches Handeln werden Resümeebeiträge von Studentinnen und Studenten zu der von ihnen durchgeführten Individuellen Lernförderung auf reflexive Kategorien untersucht.

Reflexivität

Wer nach der Lage des Menschen fragt,
findet Überforderungen auf der einen Seite,
Überschüsse auf der anderen
und nichts garantiert,
dass das eine und das andere
wie Problem und Lösung zueinanderpassen.
Du musst dein Leben ändern. Peter Sloterdijk.

Reflexivität – autobiographische Reflexion eingeschlossen – wird zunehmend als „Schlüsselkompetenz von Professionalität“ aufgefasst (vgl. Combe & Kolbe, 2004, 835). So setzt auch Reh (2004, 369) die „Steigerung von Reflexivität“ als Ausdruck eines Zuwachses an Professionalität an. Reflexivität im beruflichen Alltag scheint das gewünschte Merkmal des Lehrerinnenhandelns zu sein, das in der pädagogischen Diskussion offensichtlich länger als andere Merkmale Hoffnungen überlebt, die auf grundlegende Veränderung des Schulalltages beziehen. Ist sie aber mehr als eine undefinierte Lehrstelle in Beschreibungsalgorithmen, die kaum mehr sind als Fragebögen an das verantwortliche „Ich“ oder skelettierte formale Beschreibungen beruflicher Abläufe? Wie lässt sich die Vielfalt pädagogischer Haltungen im beruflichen Alltag in kooperatives Handeln wenden, ohne zu einer bloß formal geschlossenen Einheit zu verkommen?

Die Bedeutungen dessen, was mit Reflexivität gemeint ist – etwa des meaning of meaning bei Putnam – gehen weit auseinander. Auf der Mikroebene kann damit auch die Kontrolle des je eigenen Handelns im Schulkontext gemeint sein, etwa durch die Etablierung unterrichts-analytischer Verfahren zur Gewährleistung kontinuierlicher Professionalisierung. Ich möchte mich dem Reflexivitätsbegriff hier vor dem Hintergrund einer „vollständigen Wahrnehmung der Lehrerinnenrolle“ annehmen. Vollständigkeit meint hier im Sinne von Ilien (2008) – mit Bezug auf Oevermann – die verantwortliche Ausgestaltung aller Dimensionen des Lehrerinnenhandelns: des Unterrichters, des Vorbildes und des therapeutisch wirksamen Lernpartners. In meiner Erörterung über reflexive Pädagogik möchte ich mich weiter der Definition Bourdieus (Collège de France, 1987, 268) anschließen, der damit auf die Gewährleistung von Förderungskompetenz bei Lehrerinnen zielte, zu der nicht nur das Wissen über Lernbedingungen von Benachteiligten, sondern auch die Kenntnis ihrer Lebensbedingungen gehört. Eine Pädagogik, die sich auf eben diese Lebensbedingungen einlässt, nenne ich kooperative Pädagogik: „Kooperation […] darf sich aber nicht in Routineverhalten erschöpfen, sondern muss entwickelt und vertieft werden. Das gilt vor allem für den Umgang mit Menschen, die anders sind als wir. Dort wird Kooperation zu einem anspruchsvollen Unterfangen“ (Sennett, 2012, 10).

Eine kooperative Pädagogik ist damit immer auch eine „Pädagogik der Vielfalt“ (wenn sie sich auf eine Konzeption menschlicher Vielfalt bezieht (vgl. Robeyn, 2005) und strebt ein gerahmtes Gewährenlassen an, das eine „iterierte Projektion des Tätigseins“ (vgl. Günther, 1958) schon allein deswegen erfordert, damit das Beziehungshandeln nicht durch eine vermeintliche Planmäßigkeit formalisiert wird. Menschliches Handeln ist immer, vor allem in Bezug auf seine sozialemotionale Qualität, durch einen Reflexionsüberschuss gekennzeichnet: nichts wirkt je (nur) so, wie es sich der Handelnde denkt. Eine pädagogische Handlungstheorie muss daher zur Kenntnis nehmen, dass „dieser Beruf etwas mit uns macht“, dass er immer verändernd auf die Psychologik des Akteurs wirkt und dass emotional gerahmte Erfahrungen bestimmen, wie sich Lehrerinnen und Lehrer zu neuen Erfahrungen verhalten, in welchem Maße sie generalisieren oder individualisieren. Dazu bedarf es des Spiegels, der Außenperspektive, des themenzentrierten Diskurses.

Die (schul-)kulturelle Entwicklungsaufgabe liegt daher in der Unterstützung einer Ich-Identität auf mehreren Kontingenzebenen. Einer Identität, die in der Lage ist, sich selbst auf drei Kontingenzebenen (vgl. Günther, a.a.O.) sehen zu lernen:

  • als primär Handelnde motivational
  • als folgenreich Handelnde phänomenal – also kriterienbetont – zu unterscheiden
  • als professionell Handelnde reflexiv

Nur unter prozeduraler Einbeziehung eben dieser dritten Kontingenzebene kann es tendenziell gelingen, Bedürfnisebenen von Kindern auf eine Weise zu übersetzen, ohne ein lebendiges Miteinander zu ersticken. Denn nichtverstandene, sondern nur begriffene oder beschriebene Lebensäußerungen verführen leicht zu Termini von gut und böse, von chaotisch oder erträglich, von störend und normal; sie sind Schnittmengenvariablen des reflexiven Überschusses pädagogischen Handelns und bleiben phänomenal auf dem Erleben einer vorreflexiven Abbildungsebene angesiedelt.

Meyer (2002, 68) nimmt LehrerInnenbildung als Persönlichkeitsbildung wahr und schlägt vor, dass der Begriff „Entwicklungsaufgabe“ ein Schlüsselbegriff für Professionalisierungsprozesse sein sollte: „Entwicklungsaufgaben können nicht allgemeingültig definiert werden – dann wären sie ja kein Dokument eines persönlichen Entwicklungsprozesses mehr“, sie sind also identitätsverändernd. Die Seiten seines „Entwicklungswürfels“ versuchen das Spannungsfeld einzufangen, in dem sich die Entwicklung einer professionellen Reflexions- und Handlungskompetenz bewegt (s. u., vgl. ebd., 69). Die Herausforderungen aller Ecken des Würfels sind zu bearbeiten, die Entwicklungsaufgaben sind als persönliche Aufträge zu verstehen; allerdings kann sie niemand für sich allein leisten und sie sind nicht durch Lehre zu klären. Insbesondere bildet sich Professionswissen durch Erfahrungssammlung, d.h. durch Erfahrungslernen in der Arbeitstätigkeit, es kann jedoch auch falsch sein. Daher sollte die mehrperspektivische und perspektivenerzeugende Befragung des praktischen Handelns kasuistisch an der Stelle greifen, wo das Handlungswissen entsteht.

IDE 2014-1 Algermissen_html_4dd302d7Graphik aus Meyer, 2002, 68.

Inklusion als inhaltliche Herausforderung an die reflexive Professionalisierung

Ich muss meinen Ansatz ändern,
die Welt mit anderen Augen sehen,
mit einer anderen Logik,
anderen Methoden der Erkenntnis
und der Verifikation.
Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. Italo Calvino.

Die Inklusionsdiskussion besetzt zurzeit die Positionen der humanistisch-pädagogischen Diskurse in den entwickelten Industriestaaten. Ihr Anspruch ist paradigmatisch, wenn nicht sogar platonisch-idealistisch überhöht: sie fordert einen „überzeugenden normativen und sozialtheoretischen Bezugsrahmen für die ganze Disziplin“ (vgl. Rösner, 2006, 127), was im Widerspruch zu nichtaffirmativen Professionalisierungsannahmen steht, wie sie etwa bei Benner (2005) formuliert werden (siehe hierzu auch Algermissen, 2012, 37), weiter noch, wie Winzer und Mazurek (2005, 643) feststellen: „In its philosophical and ideological guise, inclusion rests on very specific conceptions of social justice, civil rights, and equity“, also einen normativen sozialtheoretischen Bezugsrahmen für die ganze Gesellschaft.

Die Einlösungen ihrer wesentlichen Forderungen werden rhetorisch mit der Übernahme reflexiver pädagogischer Positionierungen verbunden. Diese betreffen sowohl die affirmative Wahrnehmung des „Verstricktseins“ von Akteuren in die Gegebenheiten des jeweiligen Kontextes und die Unterstützung der individuellen Möglichkeiten pädagogischer Akteure, zu diesen Gegebenheiten Stellung nehmen zu können (vgl. dazu die subjektlogische Grundlegung von Osterkamp & Huck, 2003). Dieses Verstrickt- und Einbezogensein verweist direkt auf Ressourcen für die jeweilige Vergewisserung der eigenen Identität – der narrativ darstellbaren Lebensgeschichte. (vgl. Dlugosch, 2005, 44). Insgesamt konfrontieren inklusive Implikationen schulische Akteure mit einen hohen Anforderungsdruck: „All teachers are expected to transform their professional knowledge and their pedagogy in order to be more instructionally diverse with a broader repertoire of effective teaching practices” (Winzer & Mazurek, 2011, 15).

Einhergehend werden mit dieser inhaltlich-pädagogischen Bestimmung schulischen Handelns demokratische Prinzipien universalisiert, z.B. durch das Anstreben intrinsischen und kontex-tualisierten Lernens auf allen institutionalisierten Ebenen. Von Seiten der pädagogischen Akteure besteht die Vorbereitung in der Wiedergewinnung der „Kunst gemeinsamen Denkens“ (Senge, 2011, 519) mit dem Ziel der Sicherung weitgehend intrinsisch motivierter Arbeit auf allen Ebenen der schulischen Organisation. Denn die gesellschaftliche Leistung Inklusion erfordert eine multiprofessionelle systemische Expertise für integrative Arbeit, die in der Lage ist, „sich selbst Regeln zu geben, die fordern und fördern, dass Lernfähigkeit und Innovationskompetenz nicht die privaten Tugenden der Mitglieder bleiben, sondern zu den prägenden Merkmalen des Systems werden können“ (Weisser, 2005, 112).

Inklusion erfordert also eine entwickelte Form von Systemrationalität, weil Pädagoginnen und Pädagogen sich in die Lage versetzen müssen, Perspektiven in die schulische Beziehungs- und Herausforderungszusammenhänge zu bringen, die ihnen den Einstieg in tragfähige Beziehungsdefinitionen und tragfähige Arbeitsbündnisse erleichtern und zwar durch:

  • Fallspezifische Handlungsplanung
  • Wahrnehmung der eigenen Beteiligung an der Interaktionsdynamik
  • Modellbildungen für die Dechiffrierung von Sinnstrukturen
  • Kollektive Verankerung individueller Entwicklungsplanungen in einer demokratischen Schulkultur

Im Rahmen einer solchen Kultur kann das Schulsystem nicht länger hierarchisch modelliert werden. Die vergleichenden Studien in industriellen Kontexten von Sennett (2008) zeigen die offensichtlichen Vorteile kooperativer und offener Systeme gegenüber hierarchischen Regelsystemen: „Der Wunsch, gute Arbeit zu leisten, ist […] kein einfaches und einheitliches Motiv […] Es bedarf einer entsprechenden Sozialisation durch Institutionen. Schlecht gestaltete Institutionen ignorieren den Wunsch ihrer Mitglieder nach einem erfüllten Leben, während gut konstruierte Organisationen davon profitieren“ (Sennett, 2008, 354). So ist der Wunsch nach intrinsischer Motivation auf allen Ebenen des Lernens zu einer kulturellen Äußerung, einem Geltungsanspruch auf Wertmäßigkeit geworden, die mit einer radikalen Kritik der bisherigen Organisation der Wissensvermittlung einhergeht.

Soziale Systeme lassen sich nicht als Dienstleistungsfabriken einrichten (Systeme 1. Ordnung); sie sind zu komplex und nur sehr partiell programmierbar. Daher muss die Arbeit in ihnen professionalisiert sein. Dialog und Reflexivität sind jedoch keine partial zu erreichenden Vernunftnischen, sie wirken prozessual auf allen Ebenen demokratisierend – andernfalls bleiben sie wirkungslos bzw. wirken durch auftretende Friktionseffekte sogar kontraproduktiv. Wo reflexives Handeln eine offene Schulkultur unterstützt und durch sie unterstützt wird, wo sich Zielsetzungen kooperativ in Werthaltungen ausdrücken, dort steht die Formel der Reflexivität für ein entscheidendes Bindeglied zwischen individuellem und kollegialem Handeln, sie ist keine Formel der Schulentwicklung von oben.

Von Seiten der öffentlichen Schule sind angesichts einer prekären Zukunft – die für Schulen offensichtlich auch in einem sich bereits abzeichnendem zunehmenden Personalmangel, in der Notwendigkeit, sich an Lebenswelten zu assimilieren und sich gegenüber anderen Bildungsträgern zu legitimieren bestehen könnte – Vorbereitungen notwendig, die in der Anerkennung der historisch einzig wirksamen Kontrolle bestehen: „nämlich der Bereitschaft, sich von denen kontrollieren zu lassen, die man kontrollieren will“ (Baecker, 2010, 23).

Individuelle Lernförderung und reflexives Denken

Alle wissenschaftlichen Wahrheiten sind Tatsachenwahrheiten.
Vom Leben des Geistes. Hannah Ahrendt.

Während explizite Wissensanteile kategorisierbar, verbalisierbar und auch person- und situationsunabhängig untersucht werden können, was sich in fachlichen und didaktischen Kompetenzen zeigt (vgl. Schelten, 2000), treffen diese Eigenschaften auf beziehungsrelevante Kompetenzen kaum zu. Folgt man Meyer (2002) und Oelkers (2007), so liegen wesentliche Merkmale der Lehrereignung in einer menschenzugewandten Einstellung und damit verbundenen Fähigkeiten, Beziehungen zu lernenden Menschen aufbauen und nachhaltig gestalten zu können. Der „Wind des Denkens“ (Arendt, 2008, 192) findet sich als Urteilskraft vor allem in Stellungnahmen, in denen Menschen ihre Positionierung in einem sozialen Zusammenhang beschreiben oder mit denen sie ihre Wahrnehmung phänomenologisch orientieren. Diese Positionsbestimmungen sind tendenziell mit einer hohen Werteladung verbunden.

Studierende des Bachelor mit Lehramtsoption der Universität Hildesheim haben neben dem Allgemeinen Schulpraktikum (ASP) und den spezifischen Fachpraktika die Möglichkeit zu weiteren schulpraktischen Studien im Bereich der Individuellen Lernförderung. Während dieses Aufbaumoduls werden ihnen semesterbegleitend von kooperierenden Schulen Kinder anvertraut, für die sie die Förderung selbst zu organisieren haben: sie sollen die Lernausgangslage des Kindes analysieren, ein Problemfeld benennen und eingrenzen, sich über die Forschungslage zu diesem Problemfeld informieren und eine entsprechende Förderung durchführen. Studierende werden mit Phänomenen gestörten schulischen Lernens konfrontiert und sie müssen über Lösungen nachdenken. Die Universität bietet den Studierenden zudem ein Begleitseminar, in dem die Grundzüge förderpädagogischen Denkens theoretisch aufbereitet werden. Darüber hinaus ist das Seminar der Ort, an dem sie die Gelegenheit haben, ihr eigenes Handeln fallbezogen mit dem Dozenten und Mitstudierenden zu erörtern.

In dieser gemeinsamen qualitativen Forschung sind die Studierenden gefordert, ihr Handeln in einem in einem fachwissenschaftlichen Kontext zu verorten und mit ihren Begründungskonzepten reflexiv umzugehen. Sie können sich in diesem Rahmen selbst als Forschende und als kompetente Mitglieder der lokalen Scientific Community erfahren. Damit ist die Möglichkeit verbunden, eine fachliche Identität, einen fach(wissenschaft)lichen Habitus auszubilden – und zwar wesentlich im Medium der kognitiven Vergewisserung des eigenen Tuns (Positionierung und Legitimation), aber auch in der Form einer relativen Handlungs- und Deutungssicherheit, auf die habituell vertraut werden kann. Dem gesamten Modul liegt die Hoffnung zu Grunde, dass die gemeinsame wissenschaftliche Modellierung mehr ist als die von der Praxis abgehobene Lehre. Seine Anforderungen umfassen Entwicklungsaufgaben aller vier Seiten des Meyerschen Würfels, auf die unsere Studierenden auch hingewiesen werden.

Abschließend fertigen die Studierenden eine schriftliche Ausarbeitung zu ihrer Fördertätigkeit an, in der sie die Lernausgangslage, die Entscheidungsgrundlagen und den theoretischen Bezug ihrer Förderung und eine Auswertung des gesamten Prozesses vornehmen. Sie haben Gelegenheit, ihr Handeln „zwischen Vergangenheit und Zukunft“ (Arendt) zu bedenken, zu bewerten und ihr geplantes oder ihr intuitives Vorgehen nachträglich als geeignet oder ungeeignet rekonstruieren. Das bewertende Element findet sich vor allem in der Möglichkeit zu einem Fazit. Diese wertende Zusammenfassung nehmen die Studierenden in der Regel gern in einem Umfang bis zu einer halben Textseite wahr. Da mir sehr an der Kommunikation mit den Studierenden liegt – nicht zuletzt als Rückmeldung für die Optimierung meiner eigenen Lehrtätigkeit – habe ich diese Fazits immer sehr genau gelesen und nach möglichen Impulsen für die weitere Seminargestaltung gesucht. In den letzten beiden Semestern habe ich 50 dieser Zusammenfassungen noch intensiver unter Anwendung einer phänomenologischen Analyse untersucht. Mich interessierten die Kategorien, mit denen die Studierenden Aspekte ihrer pädagogischen Tätigkeit beschreiben. Phänomenologisch ist diese Untersuchung im Sinne von Glasers Grounded Theory (2005, 249), der mit diesem Begriff die Vorgehensweise einer kontextualisierenden Theoriegenerierung aus Forschungsdaten anderen Forschungsstrategien gegenüberstellt. Wesentlich ist hier der Hinweis, dass die gewählten Kategorien von den untersuchten Daten nahegelegt werden.

Wert der Förderung

Nahezu alle Studierenden erlebten die durchgeführte Förderung als für sich wertvoll, wobei Narrative wie „wichtig“ und „wichtig für meinen zukünftigen Beruf“ (N = 36), „sollte länger dauern“ (N = 14), die oft mit empirischen Fakten korreliert dargestellt werden neben eher subjektivem Werterleben stehen: „hat Spaß gemacht“ (N = 8), „erfreuliche Erfahrung“ (N = 4), „aufschlussreich und praxisnah“ (N = 2), „schöne, aber anstrengende Stunden“ (N = 7).

Fachliche und persönlich-emotionale Herausforderung

Die fachliche Herausforderung der Förderung (meist Deutsch oder Mathematik, in der Oberstufe auch Englisch) wird selten und/oder nur mit Bezug auf die Arbeitsbelastung der Einarbeitung in das jeweilige Fachgebiet erwähnt (N = 18). Einige (N = 9) honorieren diese Belastung im Nachhinein positiv: „viel über den Leselernprozess gelernt“. Einige erlebten das Scheitern didaktischer Detailpläne als enttäuschend (N = 4).

Die individuell empfundene emotionale Herausforderung durch die Fördertätigkeit ist vielfältiger und erscheint mir bezogen auf das hier gestellte Thema der Reflexivität interessanter, nämlich die Rollendiffusion Lehrperson/Kooperationspartner zu erleben und zu verarbeiten (N = 16): „Angst und Aufregung vor der Förderung/werde ich ernst genommen?“, „kann ich die auf mich übertragene Verantwortung erfüllen?/ich fühlte mich zu Beginn der Förderung unsicher und überfordert“, „ich wurde Bezugsperson/Lernpartner, was das Ende der Förderung emotional belastete“, „das Kind wollte mich als Bezugsperson/Problemberater und ich wollte Mathematik fördern.“

Einschätzung der Selbstwirksamkeit

Besonders schwierig scheint den Studierenden das Empfinden ihrer Leistung als Stückwerk, da die Förderbedarfe am Ende der Förderung nur sehr selten bearbeitet sind. Dem- entsprechend korreliert die Einschätzung der Selbstwirksamkeit tendenziell mit dem erlebten Erfolg der Förderung, der wiederum davon abhängt, ob ein Detailproblem zu bearbeiten war oder ein tiefergreifendes Lernproblem vorlag: positiv (N = 14): „einiges wurde trotz Schwierigkeiten besser“, „das Kind geht selbstbewusster an die Aufgaben“, „hat bessere Leistungen bzw. teilweise bessere Leistungen gezeigt“; negativ (N = 16): „ich mache das nicht optimal/mir fehlen die diagnostischen Mittel/die Erfahrungen“ „ich stehe selbst am Anfang“ (N = 12). Jenseits der kleinen – im Bericht beschriebenen – Lernerfolge bleibt vielen das Erleben von Unsicherheit: „schwer einzuschätzen, was es insgesamt gebracht hat“, „Mutter und Lehrerin haben auch geholfen“. Ein Hinweis auf ein hohes Maß an Achtsamkeit zeigt m. E. die häufige Erwähnung der Unabgeschlossenheit der Förderung (N = 38): „sollte zwei Semester dauern/war deutlich zu kurz“, „Ansätze beim Schüler gut, aber noch nicht hinreichend verinnerlicht“, „die Schülerin braucht weiterhin jemanden, der mit ihr intensiv arbeitet“.

Motivationale Herausforderung

Die Kinder, die in den Schulen für die Förderung angemeldet werden, haben mitunter bereits über längere Zeit schulische Misserfolge verarbeiten müssen und reagieren daher nicht unbedingt positiv gegenüber fachlichen Anforderungen. Auf die mögliche Problematik der Motivation des Lernens werden die Studierenden zwar vorbereitet, dennoch sind viele über das Ausmaß der Herausforderungen überrascht, die beim Aufbau von Arbeitsbündnissen zu investieren sind (N = 23): „es hat gedauert, bis ich mit dem Kind arbeiten konnte“, „das Kind war nicht eben begeistert, sich am Nachmittag wieder mit Mathematik zu beschäftigen“, „es fiel mir am Anfang schwer zu akzeptieren, keinen Erfolg mit meinen Bemühungen zu haben“, „zunehmend war ich selbst demotiviert“, „das Kind muss lernen wollen, das war bei meinem Förderkind aber nicht so“.

Die Prozeduralität der Gestaltung eines Arbeitsbündnisses wurde nahezu ebenso häufig thematisiert (N = 18): „es musste ein neues Grundverständnis des Lernens erarbeitet werden“, „die Vertrauensbasis wuchs nur langsam, was ich als mühsam empfand“, „ich musste mein Bild des Menschen, der mir gegenüber saß, immer wieder ändern“.

Kooperation

Die Studierenden werden ermuntert, im Bericht auch darüber zu schreiben, welche Kooperationsformen mit anderen Personen sie im Rahmen der Förderung eingegangen sind bzw. welche Möglichkeiten ihnen dazu gegeben wurden. Bezogen auf Lehrerinnen und Lehrern (N = 24) sind die Studierenden oft enttäuscht über den Mangel an Zusammenarbeit: „keine Kooperation trotz wiederholter Versuche“, „nur wenige/pauschale Informationen über das Förderkind“. Einige empfinden den Informationsmangel auch als positiv (N = 8): „gut, dass ich mir selbst ein Bild machen konnte“, „unbeeinflusst von der Lehrerinnenmeinung“; in wenigen Fällen (N = 7) empfanden die Studierenden die Form der Lehrerinnenbeteiligung als erschwerend: „Vorgaben für die Arbeit, ich sollte für den Unterricht üben“. Die positive Wahrnehmung von Kooperation (N = 15) findet sich in Äußerungen wie: „regelmäßige Besprechungen und Austausch mit der Klassenlehrerin, Fachlehrerin, Schulleiter“, „Informationen über das Kind im Unterricht“, „Unterstützung durch geeignetes Material“, „häufige und enge Besprechungen der Förderung“ (N = 8).

Gegenüber Eltern und anderen Familienmitgliedern wurden vor allem bei der Förderung von Kindern im Grundschulbereich kooperative Zusammenhänge beschrieben (N = 17), auch weil die Förderung bei vielen Kindern auch zu Hause stattfindet. Hier beziehen sich einige Studierenden (N = 7) auf das Kennenlernen von zum Teil schwierigen Lebens- und Lernwelten („ich hatte intensiven Einblick in die Familie“), auf das Engagement von Müttern (N = 4) und auf ihre Einbindung als neue Bezugsperson für das Kind (N = 8). In Gesprächen mit den Eltern wurden deren Einschätzungen zum schulischen Stand ihrer Kinder relevant, die zum Teil Hilflosigkeit ausdrücken (N = 7): „das Kind ist irgendwie anders/ich kann es nicht (mehr) verstehen/es war früher anders“.

Einschätzung des eigenen Lernerfolges

Die Studierenden machen sich in hohem Maße (N = 46) Gedanken über den eigenen Lern-prozess durch das Aufbaumodul Individuelle Lernförderung. Viele (N = 21) konkretisieren den Lernerfolg adaptiv zur oben erwähnten „Wichtigkeit für den späteren beruflichen Alltag“, die Erfahrung der Direktheit der kooperativen Situation (N = 14). Weiter werden die „Auseinandersetzung mit einem konkreten anderen Menschen“, die „emotionale Heraus-forderung durch das Kind“, die „Hinterfragung meiner Erziehungsideale“, der „Abschied von Programmen und Patentrezepten“, die „Notwendigkeit der Abstimmung auf die Situation/würde Förderplanung beim nächsten Mal weniger vorab vornehmen/würde mich mehr vom Kind leiten lassen“, „würde mir und dem Kind mehr Zeit lassen/Förderstunde nicht so sehr füllen“, „werde die Anforderungen/die Anforderungshaltung ändern“ erwähnt. Weitere Äußerungen zum Lernerfolg beziehen sich auf die Orientierung der Studienschwerpunkte und -interessen (N = 9): „werde mich im weiteren Studium mehr auf die Oberstufe beziehen, mit Grundschulkindern ist es schwierig“, „ich habe ein intensives Interesse an Anfangsunterricht und an der Förderung entwickelt“ (N = 9), „ich habe die Notwendigkeit der Differenzierung konkret erfahren“ (N = 11), „ich habe bemerkt, dass man aus Schwierigkeiten mehr lernt als aus gelungenen Prozessen (N = 5).

Einige Studierende thematisieren in der wertenden Zusammenfassung ihre eigenen Gefühle über die „fachliche“ Wirksamkeit hinaus: „ich habe zeitweise gezweifelt, ob ich mit Kindern arbeiten kann“ (N = 4), „ich habe zeitweise am Berufswunsch gezweifelt“ (N = 3), „ich wurde als Bezugsperson einvernahmt und konnte schwer die Balance/Distanz halten“ (N = 4). Einige weitere Studierende nehmen den Faden der Selbsterforschung auf (N = 9): „war interessant für mich; wie ich reagierte“, „ich habe nicht nur meine Grenzen kennengelernt, sondern auch neue unbekannte Seiten meines Selbst entdeckt“, „wenn ich konsequent handelte, war ich mir unheimlich“.

Achtsamkeit

Wenn Achtsamkeit im „klaren, unabgelenkten Beobachten dessen, was im Augenblick der jeweils gegenwärtigen Erfahrung (einer äußeren oder inneren) wirklich vor sich geht“ (Nyanaponika, zitiert nach Weiss et al., 2010, 19) wird eine naive erkenntnistheoretische Position besetzt, denn „Beobachten heißt: Anwenden von Unterscheidung“ (Luhmann 1986, 112). Da der Terminus Achtsamkeit als pädagogischer Terminus in die inklusionspädagogische Diskussion eingezogen ist, möchte ich ihn hier als weitere Kategorie übernehmen, denn anerkennendes Handeln ist auf ganzheitlichen Respekt gegenüber den Lebensäußerungen und Geltungsansprüchen des Gegenübers angewiesen. Es ist auffällig, dass viele Studierende ein hohes Maß an Achtsamkeit in ihrem Handeln beweisen. Häufig wird das reform-pädagogische Anliegen des „vom Kinde aus Handelns“ (N = 12) reformuliert: „Alltag des Kindes berücksichtigen/Erlebniswelt des Kindes zum Anlass der Gestaltung nehmen/an das Gelernte anknüpfen“. Einige Studierende (N = 9) denken über die Phasierung des Lernens nach: „Ich habe die Verspieltheit des Kindes gespürt“, „er ist noch wie ein kleines Kind“, „er möchte am liebsten mit mir spielen“. Weiter gibt es Äußerungen zur psychoemotionalen Gestaltung der Lern- und Beziehungssituation (N = 6): „es ist Einfühlungsvermögen gefragt, um genau auf das Kind eingehen zu können“, „das Kind soll Freude und Spaß beim Lernen haben“, „situatives Eingehen und offene Atmosphäre“. Einige Studierende (N = 12) betonen die Notwendigkeit einer Verstehensbasis für die Förderung erkannt zu haben: „das Kind muss eine Trennung verarbeiten“, „dem Kind fehlen Bezugspersonen“, „es fehlt ihm an Verlässlichkeit/Struktur“.

Theorie und Praxis

Gleichwohl das Verhältnis von Theorie und Praxis die formale Gestaltung des Gesamt-seminares ausmacht, findet es im Fazit nur selten explizite Erwähnung (N = 18). Allerdings wird theoretische Bezugsbildung häufig als (zeit-)aufwändig benannt (N = 33). Für mich unerwartet viele Studierende sprechen sich für die Bedeutung theoretischer Bezugsgrundlagen aus (N = 14): „die Förderung darf nicht wahllos/nicht unspezifisch/sollte gezielt sein“, „hilfreich, die Hintergründe/Ursachen/Zusammenhänge zu erfassen“, „Einschätzung und Reformulierung dessen, was getan werden muss/kann“. Vor allem die theoretische Grundlegung des diagnostischen Handelns war einigen Studierenden wichtig (N = 9). Einige Studierende (N = 4) erwähnen die Legitimationsfunktion theoretischer Erwägungen, ebenso viele erkennen in der Theorie einen Schutz vor Verallgemeinerungen und vorschnellen Urteilsbildungen: „komplexere Rationalisierungen statt schneller Kategorisierungen“, „Vermeidung von Stigmata“, „breitere Urteilsbasis“, „ausloten von Möglichkeiten“. Einige Studierende (N = 4) beschreiben ihr Empfinden theoretischer Betrachtungen als Belastung: „man sollte unbehelligt fördern dürfen“, „Theorien reformulieren lediglich Selbst-verständliches, sie sind nicht hilfreich“.

Wenige Studierende thematisieren die Notwendigkeit vertiefender Studien durch praktische Erfahrungen: „nachdem mein Förderkind mich anschrie und seinen Stift in die Ecke donnerte, wurde mir klar, dass ich emotionale Probleme nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte und ich beschäftigte mich mit Verhaltenspsychologie, damit ich mich besser in das Kind hineinversetzen kann“, „manchmal wurde mir etwas mulmig und ich musst mich rück-versichern“ (N = 3).

Schlüsse und Thesen

Denn was außer dem Bewusstsein der eigenen Verstörtheit
wird die meisten von uns dazu bringen,
uns nach außen zu wenden, einander zuzuwenden,
das Andere zu erfahren?
Fleisch und Stein. Richard Sennett.

Qualitative Untersuchungen dieser Art bilden soziale Zusammenhänge als Gewimmel ab, die sehr individuellen Rückmeldungen zeigen das hohe Maß an Individualität und die hohe Breite an Lebensentwürfen und -zielen, die sich in Seminaren versammeln. Auch hier hat die Heterogenität zumindest augenscheinlich sehr zugenommen. Auffällig ist, dass Äußerungen stark dominieren, die das Studium und seine Inhalte als direkte Berufsvorbereitung sehen, eben für diese Vorbereitung nehmen sie die „anstrengende, aber auch schöne Arbeit“ auf sich. Vertreterinnen oder Vertreter einer entkoppelten Sichtweise wissenschaftlicher Ausbildung sehen das mitunter als verfehlte Deutung der Hochschulaufgabe. Ich meine jedoch, dass es keinen Sinn hat, dieses Anliegen des „Lehrerinwerdenwollens“ zu ignorieren. Vielmehr muss es deswegen noch intensiver als hochschuldidaktische Aufgabe begriffen werden, weil sich nur über die Primärmotivation individuelle Zugänge zur theoretischen Standortbestimmung finden lassen.

Der Wert schulpraktischer Studien wird in diesem Kontext sehr hoch angesetzt: Daraus können verschiedene Schlüsse gezogen werden, einerseits sollte man den jungen Menschen mehr Praxis zutrauen, wie Oelkers (vgl. 2007) es vor dem Hintergrund seiner Züricher Erfahrungen als Lehrerbildner formuliert, andererseits haben diese Studien die große Chance, den Sinn des Theorietreibens mehr als interpretatorisch zu vermitteln. Denn die Vorbehalte gegen den vermeintlichen Nutzen pädagogischer Theoriebildung sind offensichtlich. Die Studierenden sollen mehr Kasuistik leisten und erfahren können und deutlich mehr Zeit zur Besprechung, zur Vor- und Nachbereitung der Förderung, zum Aufbau reflexiver Kompetenzen haben.

Das Balancieren emotionaler Erfahrungen in der Lehrertätigkeit (des Gelingens, des vermeintlichen oder echten Scheiterns, der Trauer, Wut und Enttäuschung) gehört zum Aufbau einer professionellen Identität. Da der gesellschaftliche Alltag die Menschen eher zu individualisierten Bewältigungsformen bewegt, kann die kasuistische Arbeitsweise dialogische Lösungsformen unterstützen. Daher sollten auch kooperative Vorgehensweisen bei den Förderanliegen möglich sein; noch wird das Modul Individuelle Lernförderung individuell zensiert. Kooperationsformen mit anderen Studierenden wurden in keinem Fall erwähnt.

Nahezu die Hälfte der Studierenden äußert sich zum Prozess der Begründung des Arbeits-bündnisses, des motivationalen und diagnostischen Arbeitsanteiles pädagogischen Handelns. Die Begegnung mit schwierigen, sich gegen Methoden und Programme stellenden Lernbiographien fordert die Studierenden intensiv zu individuellen kommunikativen und methodischen Leistungen heraus. Damit bewirkt das Modul die Wahrnehmung und das begreifende Verarbeiten von Heterogenität und unterstützt Lernprozesse und -haltungen, die ein Sicheinfühlen und Sicheinlassen auf die Ressourcen von Schülerinnen und Schülern begünstigen. In diesen Kontext gehören auch die breiter gestreuten Äußerungen der Studierenden, die ich unter der Kategorie Achtsamkeit gelistet habe.

Die Studierenden wollen sich auf einen anspruchsvollen Beruf vorbereiten und bieten den Lehrenden ein breites diskursives Angebot, dessen hochschuldidaktische Aufnahme zur Entwicklung beruflicher Reflexivität in kasuistischen schul-/lehrpraktischen Studien beitragen kann. Doch „Denken ist stets außer der Ordnung, es unterbricht alle gewöhnlichen Tätigkeiten und wird durch sie unterbrochen“ sagt Arendt (2008, 193). Um auf meine Eingangsfrage zurück zu kommen: Reflexivität als Heilsbegriff oder leere Formel? – nein, weder noch. Eher ist sie Grundlage kooperativen Handelns und freien Denkens, zu dem man junge Menschen in geregelten Zeiten ermutigen sollte, auch in der inhaltlichen Wendung ihrer vorhandenen, wenn auch stillen „Rebellion“ gegen vermeintlich staubiges Theorielernen.

Literatur

  • Algermissen, U. (2012): Pädagogische Arbeitsbündnisse kooperativ gestalten. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
  • Arendt, H. (2008): Vom Leben des Geistes. Das Denken, Das Wollen. München: Piper.
  • Baecker, D. (2010): Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Combe, A. & Kolbe, F. U. (2004): Lehrerprofessionalität: Wissen, Können, Handeln. In: W. Helsper, W. & Böhme, J. (Hrsg.) Handbuch der Schulforschung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 857-875.
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  • Fischer, D. (2012): Lernen von (geistig) behinderten Menschen als Basis für gelingende Inklusion. In: Behinderte Menschen. Zeitschrift für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten, 2/2012, S. 56-62.
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Über den Autor

Dr. Ulf Algermissen ist Förderschulrektor und Lehrbeauftragter der Universität Hildesheim am Fachbereich Angewandte Pädagogik. Kontakt: ulfalgermissen@arcor.de

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