Historisch-vergleichende Betrachtungen zum ethnopädagogischen Wirken des tschuwaschischen Aufklärers Iwan Jakowlew und des deutschen Reformators Martin Luther

By Elena Vladimirovna Tolstova | December 4, 2015

Summary (Elena Vladimirovna Tolstova [Russland]: Historical-Comparative Reflections on the Ethnopedagogical Influence of the Chuvash Enlightener Ivan Jakovlev and the German Reformer Martin Luther): This article deals with ethnopedagogical orientations in the work of the reformer Martin Luther and the Chuvash enlightener Iwan Jakowlew. They played a fundamental role in the development of a national identity of their people and addressed a number of themes that are still relevant today. The National cultures were, both in Russia and in Germany, under pressure, even from a linguistic point of view. The Russian orthodox Christianity insisted on Russian as the language of religious instruction; in German churches was preached in Latin. There are many similarities in the work of these two eminent representatives of the German and Chuvash people with respect to a national literary language, the introduction of native languages in schools, education being connected with meaningful tasks, music education, education of families, women’s education, etc., despite their distance of three centuries and almost 3,000 km. This points to the continuity and general validity of certain pedagogical insights and experiences and the possibility that these may be a useful topic of study for the respective national culture and education.
Keywords: enlightenment, literary language, Bible translation, the ABC, alphabetization, national culture, ethnopedagogy.

Zusammenfassung: Im Artikel wird die ethnopädagogische Richtung in der Tätigkeit des Reformators Martin Luther und des tschuwaschischen Aufklärers Iwan Jakowlew behandelt, die eine fundamentale Rolle in der Entwicklung des nationalen Bewusstseins ihrer Völker gespielt und sich mit einer Reihe von Themen beschäftigt haben, die bis heute aktuell sind. Die Nationalkulturen standen, sowohl in Russland als auch in Deutschland, unter Druck, auch aus sprachlicher Sicht. Das russische orthodoxe Christentum beharrte auf Russisch als Sprache der religiösen Unterweisung; in deutschen Kirchen wurde auf Latein gepredigt. Man erkennt viele Gemeinsamkeiten bei der Betrachtung der Bemühungen dieser großen Vertreter der deutschen und tschuwaschischen Völker um eine nationale Literatursprache, die Einführung der Muttersprache in den Schulen, eine mit sinnvoller Tätigkeit verbundene Erziehung, musikalische Bildung, Familienerziehung, Frauenbildung usw., obwohl sie drei Jahrhunderte und fast 3.000 km voneinander trennen. Das erlaubt die Schlußfolgerung von der Kontinuität und Allgemeingültigkeit bestimmter pädagogischer Einsichten und Erfahrungen und der Möglichkeit, sie für die jeweilige nationale Kultur und Bildung studierbar und nutzbar zu machen.
Stichwörter: Aufklärung, Literatursprache, Bibelübersetzung, das ABC, Alphabetisierung, nationale Kultur, Ethnopädagogik.

Резюме (ЕленаВладимировнаТолстова [Россия]: Исторически-сравнительный обзор этнопедагогического влияния чувашского просветителя Ивана Яковлева и немецкого реформатора Мартина Лютера): В статье рассматривается этнопедагогическое направление в деятельности реформатора Мартина Лютера и чувашского просветителя Ивана Яковлева. Они сыграли фундаментальную роль в развитии национального сознания своих народов и занимались рядом тем, которые являются актуальными до сегодняшнего дня. Национальные культуры, как в России, так и в Германии, находились под давлением, в том числе и языковым. Русская православная церковь придерживалась русского языка как языка религиозного наставления, в немецких церквях служили на латинском языке. В устремлениях обоих великих представителей немецкого и чувашского народа есть много общего в деле борьбы за национальный литературный язык, введение родного языка в школах, воспитание, связанное с деятельностью, музыкальное образование, семейное воспитание, женское образование и т.д., хотя их разделяли три столетия и почти 3.000 км. Это позволяет сделать вывод о непрерывности и универсальности определенных педагогических воззрений и опыта и дает возможность использовать их в национальной культуре и образовании.
Ключевые слова: просвещение, литературный язык, перевод библии, букварь, обучение грамоте, национальная культура, этнопедагогика.


 Aspekte eines deutsch-tschuwaschischen Dialogs pädagogischer Kulturen

Spuren eines Dialogs pädagogischer Kulturen der beiden Völker findet man in der Sprache, aber auch in der Musik, Medizin, Landwirtschaft, Bauwirtschaft und natürlich der Tätigkeit der Volkspädagogen. Vor der Revolution und in der Sowjetzeit war Deutsch die verbreitetste Fremdsprache, auch heute wird in vielen Lehranstalten Deutsch unterrichtet. Deutsche Literatur war in Kreisen der tschuwaschischen Intelligenz verbreitet: Alexander Artemyev hat Gedichte Goethes, Schillers und Heines Gedichte ins Tschuwaschische übersetzt. Gennady Ajhi und besonders Naum Urhi beschäftigten sich lebenslang mit der Übersetzung von Goethes „Faust“ ins Tschuwaschische.

An der Universität Göttingen wurde das Poem “Narspi” des Klassikers der tschuwaschischen Literatur, Konstantin Iwanow, in deutscher Sprache veröffentlicht (Übersetzer: Wladimir Iwanow). Mehr als 100 Werke über die Tschuwaschen wurden in Berlin, Leipzig, Göttingen, Bremen, Hamburg, Halle, Hannover, Wien, Bern, Stockholm, Amsterdam veröffentlicht. Wertvolle Beiträge zu diesem kulturellen Dialog verdankt Tschuwaschien vielen deutschen Persönlichkeiten, darunter Wilhelm Schott, Johann Georgi, Johann Strahlenberg, Robert Lach, Poppe, Wassily Radloff, Nicolaus Poppe, Johann Ramstedt, August Ahlquist, Friedrich Miller, Heikki Paasonen, Johannes Benzing, Uwe Bläsing, Eberhard Winkler, Adalbert Burghard, Jurje Wichmann.

Die tschuwaschische Schriftsprache hat sich viel später als die Schriftsprachen Europas, z. B. Deutschlands, herausgebildet, dennoch lassen sich in diesem Prozess vergleichbare Entwicklungen erkennen, und dieser Vergleich lohnt sich insbesondere hinsichtlich der Aktivitäten von zwei großen Aufklärern ihrer Völker – Martin Luther und Iwan Jakowlew.

Die entscheidende Rolle bei der Bildung der Schriftsprache und der Gründung von nationalen Schulen in Tschuwaschien spielte der talentierte Pädagoge und Kämpfer für den Aufstieg der Kultur seines Volkes, Iwan Jakowlewitsch Jakowlew (1848 – 1930). Er stammte aus einer armen Bauernfamilie, hatte früh seine Eltern verloren, kannte nur zu gut die Schwierigkeiten des Bauernlebens im zaristischen Russland. Aufrichtige Liebe zu seinem Volk, ein leidenschaftlicher Wunsch, das Ausbildungsniveau der Tschuwaschen zu erhöhen, seine eigene für jene Zeit hervorragende Ausbildung riefen bei ihm das Streben hervor, die Tschuwaschen an Bildung und weltlicher Kultur teilnehmen zu lassen. Er organisierte die erste Tschuwaschische Schule in der Wohnung mit dem durch Nachhilfestunden verdienten Geld. So war der Grundstein für die Simbirsker Tschuwaschische Lehrerschule gelegt, die später zur Schmiede des Lehrpersonals für tschuwaschische und andere Schulen der Wolgaregion und des Urals und damit zur Quelle der Wiederbelebung der gesamten tschuwaschischen Kultur wurde. Jakowlew war als Lehrer tätig, hat mehr als 400 Schulen eröffnet und inspizierte Schulen in Gebieten mit tschuwaschischer Bevölkerung; er entwickelte pädagogische und methodische Grundsätze des Unterrichts in nationalen Schulen. Er hat Dutzende von Schulen für tschuwaschische, tatarische, mordwinische Kinder in verschiedenen Gegenden des Wolgagebiets und des Urals gegründet, war Autor vieler Lehrbücher und Folkloresammlungen in der Muttersprache. Mit all dem hat er einen unschätzbaren Beitrag zur Entwicklung der tschuwaschischen Schrift und Literatur geleistet.

Bereits 1983 hatte unser tschuwaschischer Landsmann und in Russland und im Ausland bekannte Pädagoge, Genadiy N. Wolkow, Materialien über Jakowlew und Luther in einem Artikel in Deutschland veröffentlicht (Wolkow [= Волков], 1983), in dem er auf Ähnlichkeiten der Leistungen zwischen dem deutschen Reformator und tschuwaschischen Aufklärer eingeht. Wolkow argumentiert wie folgt:

  • Jakowlew ist der Begründer der tschuwaschischen Literatur, und genau so wird Martin Luther von Heinrich Heine hinsichtlich der deutschen Literatur charakterisiert;
  • Jakowlew ist ein angesehener Übersetzer der Bibel ins Tschuwaschische, Luther hat eine der ersten Bibelübersetzungen ins Deutsche unternommen;
  • Jakowlew ist Begründer der ersten Bildungseinrichtung für Lehrer der tschuwaschischen Schulen, die über 2.000 hervorragende Absolventen hatte, und von ihm wurden über 1.200 Schulen eröffnet; Luther gilt als Begründer der öffentlichen Volksschulen, der auch die Idee der Lehrervorbereitung aussprach;
  • Jakowlew wurde von einigen russischen Führern unseres Landes und selbst von Lenin vor Angriffen gegen seine ethnopädagogische Aufklärungsarbeit geschützt. Lenin hatte in einem Telegramm geschrieben: “Ich habe Interesse an dem Schicksal des Inspektors Iwan Jakowlewitsch Jakowlew, der 50 Jahre an dem nationalen Aufstieg der Tschuwaschen gearbeitet hat und vom Zarismus verfolgt wurde. Ich denke, man muss Jakowlew nicht von der Sache seines Lebens trennen” (zitiert in: Толстова [= Tolstova], 2011, S. 61). Zum Vergleich: Wie der Philosoph Nietzsche schreibt, “ist Luther damals am Leben geblieben, weil ihn der Kaiser verteidigt hat, um mit Luthers Reform den Druck auf den Papst auszuüben” (Kurilo, 1996, S. 224);
  • Jakowlew wurde in einer Bauernfamilie geboren, so ist auch die soziale Herkunft von Luther.

Auch diese nur äußeren Parameter ermöglichen Vergleiche zwischen den beiden Volksaufklärern.

Im Laufe seiner langjährigen Lehrtätigkeit nahm Jakowlew als Humanist eine Stellung zwischen Liberalismus und Demokratie ein, glaubte fest an die Möglichkeit, soziale Probleme nicht gewaltsam, sondern durch Bildung der Volksmassen zu lösen. Bei seinen Aufklärungsreisen durch die tschuwaschischen Dörfer knüpfte er an die von K.D. Uschinski begründete ethnopädagogische Idee der Volkstümlichkeit (Golz, 2003) an, die schöpferische Kraft des Volkes, das die Geschichte schafft. Der Anstieg des materiellen Wohlstandes des Volkes erforderte nach seiner Auffassung eine demokratische Volksaufklärung. In den Schulen sollten Handwerkunterricht und Ausbildung in den Grundlagen der Landwirtschaft geben, und zwar unter Beibehaltung der einzigartigen Kultur des jeweiligen Volkes.

Luther und Jakowlew sahen in der Volksspache das einzige Mittel zur Entwicklung der nationalen Kultur. Beide verstanden, dass man die Sprache der Familie zur Sprache der Schule machen sollte. Beide waren überzeugt, dass das Denken und Weltbild des Volkes in seiner Muttersprache zum Ausdruck kommt und sollte daher geschützt werden. Nur mit Hilfe der Muttersprache konnten überholte pädagogische Konzepte verändert werden.

Es gibt keinen direkten Beweis, dass die Bildungstätigkeit der Lutheraner die Entwicklung der Aufklärung der Tschuwaschen beeinflusst hat. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der tschuwaschische Pädagoge von den Aufgaben lutheranischer Kirchen im Simbirsker Gouvernement wusste, denn die Geistlichkeit verwaltete das Schulwesen. Das Luthertum stand zeitweise an der Spitze der christlichen Konfessionen hinsichtlich der Zahl der Schriftkundigen, darunter auch der Frauen. Es ist bekannt, dass nach Angaben der Volkszählung 1897 im Simbirsker Gouvernement von 1707 Lutheranern 1319 schriftkundig waren, d.h. mehr als 75%, und unter den Orthodoxen – weniger als 20%. Der Alphabetisierungsgrad unter den Frauen war bei den Lutheranern – 45%, bei den Orthodoxen – 21%. Das war einer der Orientierungspunkte für Jakowlew.

Als Vertreter einer nationalen Minderheit unter den damaligen spezifischen Bedingungen Russlands konnte er natürlich nicht Luthers Niveau bei der Entlarvung von Kräften erreichen, die den christlichen Glauben des gemeinen Mannes geschäftlich missbrauchten, und die Christianisierung der Tschuwaschen hatte auch nicht ein Niveau wie in Deutschland zur Zeit Luthers erreicht (Tolstova, 2011, S. 62).

Aus theologischer und schulischer Sicht warben beide für die Verwirklichung des Prinzips der Verbindung von Tätigkeit und Persönlichkeitsentwicklung. Sie waren hierbei wie auch in anderen Beziehungen keine religiösen Fanatiker, förderten auf ihre Weise und unter ihren gesellschaftlichen Bedingungen die Schaffung der deutschen bzw. tschuwaschischen Schulen, verfassten Lehrwerke für Volksschulen, Handbücher für Volkslehrer, um die von der Menschheit gesammelten Kenntnisse dem einfachen Volk zugänglich zu machen. Bildung und Erziehung sollten mit der Erneuerung der Kirche beginnen. Ihre pädagogische Tätigkeit orientierte sich an religiösen und zugleich humanistischen Bildungsideen.

Jakowlew hat die klassische deutsche Philosophie gründlich studiert, nutzte sie in seiner aufklärerischen und pädagogischen Arbeit, machte seine Schüler und Kollegen mit der progressiven deutschen Kultur bekannt, darunter auch mit dem Luthertum. Seine Kenntnis der deutschen Sprache ermöglichte es ihm, die innovativen pädagogischen Ideen von Comenius, Pestalozzi, Diesterweg und anderen in deutscher Sprache publizierenden Pädagogen konstruktiv zu verarbeiten, wobei er auch die Erfahrungen Uschinskis bei seinen Bildungsreisen durch Deutschland und andere europäische Länder kannte (ebd., 2011, S. 87). Jakowlews Nähe zur lutherischen Pädagogik zeigt sich besonders hinsichtlich der Bedeutung der Muttersprache für die nationale Bildung. Deutsche Spuren in seinen Ansichten finden wir in den Aussagen seines Lehrers Baratynsky, der ihn ermahnt hatte, nicht zu viel Heine zu lesen; Jakowlew hatte notiert, dass er Hegel und Schiller intensiv gelesen habe (ebd.). Die Vergleichbarkeit der Ansichten von Jakowlew und Luther ist auch durch die Betrachtung ihrer Bildungsbedingungen möglich. Jakowlew hat an den historisch-philologischen und physisch-mathematischen Fakultäten der Kaiserlichen Universität von Kazan studiert und wie auch Luther nach einer umfassenden Ausbildung gestrebt. Durch hartnäckige selbständige Arbeit studierte er Griechisch und Latein, Philologie, Geschichte und Philosophie sowie das römische Recht, politische Ökonomie, Anatomie, Psychologie. Wie auch der deutsche Reformator, war der tschuwaschische Aufklärer gezwungen bzw. auch bestrebt, Theorie mit praktischen Aktivitäten aktiv zu verbinden.

„Aber dieser Martin Luther gab uns nicht bloß die Freiheit der Bewegung, sondern auch das Mittel der Bewegung; dem Geist gab er nämlich einen Leib. Er gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache.“ 

(Heinrich Heine, 1834/35 / 2015)

Sprache ist wichtig für die nationale Identifikation. Im Bewusstsein von zwei prominenten Pädagogen waren Sprachen noch vor der Nation selbst erzeugt. Beide verstanden, dass ohne eine entwickelte und reiche Schriftsprache an Hochkultur nicht zu denken ist. Luther schrieb traurige Zeilen über seine Nation: “Ja, ich weiß leider wohl, dass wir Deutschen müssen immer Bestien und tolle Thiere sein und bleiben; wie uns denn die umliegenden Länder nennen” (zitiert nach Gedike, 1792, S. 53; Walch 1740-1753, Bd. 10, S. 545 ff.). Luther warf den Schulen und Klöstern vor, dass die Schüler dort “das Evangelium verlernet … auch Lateinische und Deutsche Sprache verderbet hat, dass die elenden Leute … weder Deutsch noch Lateinisch recht redden oder schreiben können; und beinahe auch die natürliche Vernunft verloren haben” (ebd., S. 57; S. 545 ff.). Er kritisierte die Deutschen, schätzte aber zur gleichen Zeit ihren Mut und ihre Ausdauer.

Die Tschuwaschen waren lange ein Volk ohne Bücher, ohne Alphabet, ohne Schriftsprache. Das alte Schrifttum der Tschuwaschen aufgrund der altbulgarischen Sprache war verloren. Nicht einmal die Kanzleisprache (wie die Deutschen) hatten sie. Auf dem Territorium der Ansiedlung der Tschuwaschen war die Zeit bis zum Ende der 60er Jahre des XIX. Jahrhunderts eine Periode vollständiger Negation der Rolle der Muttersprache im Schulwesen und in der kirchlichen Predigt, was schädlich für die geistige Entwicklung aller nichtrussischen Völker des Wolgagebietes war. Alle nichtrussischen Völker dieser Region betrachtete man als Wilde, die der Bildung nicht fähig waren. Bildung der Kinder von Nicht-Russen erfolgte, wenn überhaupt, nur in der für sie fremden russischen Sprache, wodurch erfolgreiches Lernen und Entfaltung der Fähigkeiten kaum möglich war. Jakowlew schrieb mit Bitterkeit über Unterrichtsmethoden, die die Rolle der Muttersprache negierten. Das führte wie so oft, zunächst als gute Idee gedacht, aber schlecht organisiert, zu der völlig unerwarteten Schlussfolgerung, dass die Nicht-Russen für eine kulturelle Höherentwicklung untauglich sind, keinen Schritt in ihrer Bildung vorwärts machen können und alle Mühe wegen ihres Entwicklungsstandes vergeblich sei (Tolstova, 2011, S. 92). Selbst Jakowlew hat folgende Bemerkungen über die Tschuwaschen gemacht: In ihrer Natur gäbe es “viel Sympatisches, aber sie haben nicht die Energie, die Macht des Geistes, die Kreativität, die häufig bei Russen zu treffen sind … Allerdings haben die Tschuwaschen viel Gutes. Zum Beispiel merkt man bei ihnen ein besonderes, weiß Gott woher stammendes Zartgefühl in gegenseitigen Beziehungen. Die Tschuwaschen vermeiden es, jemandem etwas Grobes, Beleidigendes, Erniedrigendes zu sagen” (Яковлев [= Jakowlew], 1983, S. 31).

Nach dem Anschluss der Tschuwaschen an Russland 1551 begann der Prozess der Christianisierung der tschuwaschischen heidnischen Bevölkerung. Seit 1740 geschah das zwangsweise, z.B. durch gewaltsame Taufe, Verbrennung der Anbetungsorte u.a. Die Tschuwaschen haben diesem Druck mutig, aber auf Kosten des Verlustes von mehr als der Hälfte ihrer Nation standgehalten und überlebt. Einige wehrten sich und sahen im Islam ein Mittel zum Widerstand (sie wurden Tataren). Obwohl das Christentum keine Absage an die eigene Nationalität verlangte, wurden gebildete Tschuwaschen schnell russifiziert. Zaristische Beamte förderten letztlich das Analphabetentum: es gab eine Zensur für alle Bücher auf Tschuwaschisch.

Es sah also sowohl in Luthers Zeitalter als auch in Jakowlews Zeit nicht gut aus für das Erlernen der Muttersprache. Deutsch bzw. Tschuwaschisch wurden für das Unterrichten so gut wie nicht gebraucht. Die Dominanz der lateinischen oder der russischen Sprache war jeweils durch die Großmachtpolitik von Rom und Moskau hervorgegangen, und der Mangel an Bildung ermöglichte, dass Völker in Angst und Dunkelheit gelebt haben.

Das Konzept der Christianisierung steht ganz im Einklang mit der damaligen Situation – mit Waffen und Kreuz, mit der Sprache des Zentrums hat man materielles und humanes Kapital der Provinzen geraubt, die Umwelt der Stammbevölkerung zerstört, humane, geistige und ethische Werte der einheimischen Nationen vernichtet (Tolstova, 2011, S. 91). Doch es war schwer, unter solchen Umständen Gottes Wort auf Russisch zu predigen und Verständnis von Nicht-Russen zu erwarten. Die russische Regierung hat ihre Taktik verändert – nun wurde das Orthodoxe Christentum durch Missionare und Lehrer aus nichtrussischen Völkern eingeführt. Auf der einen Seite ist dies ein Schritt zur Aufklärung der Nation, auf der anderen der Verlust eigener Religion und Aneignung einer fremden. Formell hatte man seit 1870 die Muttersprache als Schulsprache der Tschuwaschen und für die Predigt anerkannt und den Druck religiöser Bücher, Fibeln mit russischen Lettern erlaubt. Jakowlew hat weise die Situation für die Schaffung der tschuwaschischen Schrift, der Literatursprache und der nationalen Schule ausgenutzt. In Hinsicht auf die Muttersprache hat das deutsche Volk dank Luther und kulturell-historischer Voraussetzungen uns um mehrere Jahrhunderte überholt. Der Prozess der Herausbildung der Nationalsprache dort geschah im Unterschied zu uns im Kampf gegen die existierende katholische Religion. In seiner Lehre (Protestantismus) wurden Renaissance-Ideen der Gedankenfreiheit und die zentrale Position des Menschen in der Welt als das Recht auf selbständiges Studium und die Auslegung der Bibel, auch als persönlicher Appell des gemeinen Mannes an Gott gedeutet.

Für die Schaffung der nationalen Schule musste man zuerst ein Alphabet erstellen, das nicht zu schwierig war und alle Laute widergab (es gab früher bereits erfolglose Versuche), um dann Lehrer und Übersetzer von Lehrbüchern unter den Tschuwaschen auszubilden, die Abc-Bücher und andere Lehrwerke vorbereiteten. Jakowlews Schüler beschäftigen sich mit den Übersetzungen, studieren Besonderheiten der tschuwaschischen Sprache, sammeln Folklorematerialien usw. Sie haben das tschuwaschische Alphabet entwickelt, dann vereinfacht, so dass nur 25 Buchstaben blieben. 17 davon waren aus dem Russischen entlehnt und 8 spezifische Buchstaben wurden für besondere Laute des Tschuwaschischen hinzugefügt.

Der großen Aufgabe der Bibelübersetzung in die Volkssprache waren beide großen Volksvertreter gewachsen, denn sie waren sprachmächtig: Martin Luther ging in die Lateinschule, sein Latein verbesserte er während des Studiums, und als Professor lernte er noch die griechische und die hebräische Sprache, um das Alte und das Neue Testament im Original lesen zu können. Er übersetzte die Bibel aus den Originalsprachen und der lateinischen Vulgata. Jakowlew beherrschte Deutsch, Französisch und noch einige Fremdsprachen. Zu seiner Zeit war Russisch die Sprache der Wissenschaft und der Bibel, er sollte sie in die Volkssprache aber so übersetzen, dass sie mit dem griechischen und slawischen Text übereinstimmte. Er begann gleichzeitig mit dem Neuen und dem Alten Testament (das Alte hat er nicht beendet) und arbeitete mit seinen Schülern und Kollegen ähnlich wie Luther an der Bibelübersetzung, sogar noch sorgfältiger: zuerst übersetzte er oder sein Mitarbeiter aus dem Russischen, dann wurde das zehnmal vorgelesen, korrigiert, mit Bibelübersetzungen in der griechischen, lateinischen, französischen, deutschen und englischen Sprache verglichen, die Übersetzung wurde an tschuwaschische Lehrer und Priester mit der Bitte um ihre Meinung geschickt. Kein Wunder, dass diese akribische Arbeit viel länger als bei Luther – 39 Jahre – gedauert hat. Jakowlew trat auch für eine klare, dem gemeinen Volk verständliche Übersetzung auf. So kritisierte er z.B. das Buch von Zolotnitsky “Saldalyk Keneke”. Er glaubte, dass dieses Buch keinen großen Nutzen für die Tschuwaschen bringt, weil es hier “Wendungen gibt, die untypisch für Tschuwaschisch sind. In manchen Fällen findet der Autor sogar keine Worte, um bekannte Gegenstände auszudrücken, darum gibt es in “Saldalyk Keneke” Stellen, die einem Tschuwaschen überhaupt unklar sind; anderswo wird dadurch der Sinn der Geschichte verdreht” (Tolstova, 2011, S. 95). Der Aufklärer kam zu dem Schluss, dass der Buchautor die Umgangssprache nicht kannte. Jakowlew und seine Schüler übersetzten nach dem Prinzip von Luther – „Dem Volke aufs Maul geschaut“. Die Schule vom Gymnasiasten Rekeev (Jakowlews Schüler) wurde zu einem pädagogischen Labor, in dem nach der Bitte von Jakowlew tschuwaschische Lehrbücher und -mittel in Bezug auf Verständlichkeit für Schüler der Mittelstufe geprüft wurden. Rekeev arbeitete auf dem Land, hatte die Möglichkeit, sich über sprachliche Nuancen unmittelbar mit Bauern zu beraten. Drei Jahrhunderte vorher war Luther mit ganz ähnlichen Problemen des Übersetzens und der Verständlichkeit konfrontiert. Er hat nie sklavisch am Text geklebt und versucht, die lateinischen Worte zu vermeiden, sie durch deutsche Ausdrücke zu ersetzen. Luther versuchte in seiner Bibelübersetzung die Mentalität seines Volkes wiederzugeben, Offenheit – diesen typisch deutschen Charakterzug – hat er in der Sprache berücksichtigt. Er hat auf die komplexe lateinische Satzkonstruktion verzichtet und sie klar und überschaubar gemacht .

Jakowlew sollte mit noch einem Problem fertig werden, das auch vor Luther gestanden hatte: in der tschuwaschischen Sprache gab es damals (heute auch noch) einige Dialekte, unter denen sich zwei – obere und untere Mundart – besonders stark hervorhoben. Jakowlew (wie auch Luther) wählte den niederen Dialekt für die Schriftsprache. Für Luther war die sächsische Kanzleisprache ein großer Vorteil , weil sie geographisch und sprachlich in der Mitte lag und vielerorts in Deutschland verstanden wurde.

Aus dem Volk hervorgegangen, wurden die deutsche und tschuwaschische Schriftsprache anschließend selbst Katalysatoren für die weitere Bewegung der Volkssprache, verbesserten ihre Ausdrucksmöglichkeiten. Luther und Jakowlew haben sich nicht nur um die Wege der Bereicherung der Schriftsprache durch volkstümliche Rede gekümmert, sondern auch um die Normen für die Sprache der Ausbildung und Erziehung, wobei das Hauptkriterium für sie Verständlichkeit war.

Wer eine Schule hat, hat auch ein Land.

(deutsches Sprichwort)

Vor dem Reformator kamen nur wenige Menschen in Deutschland auf die Idee, breiten Volksmassen das Lesen und Schreiben beizubringen, denn, um zu arbeiten, brauchte das Volk keine besonderen Kenntnise, die Aneignung der gesammelten Erfahrung konnte ohne Schule geschehen. Die Reformation hingegen hat alle zum Lernen aufgerufen, die Schule war ihr sehr wichtig: “Gottes Wort wird durch die Erhaltung guter Schulen und Erziehung der Jugend für uns und unsere Nachkommen erhalten” (Lutherlexikon, 1989, S. 293). Luther war überzeugt, Schulen sollen für alle Kinder zugänglich sein.

Jakowlew hat nicht immer auf staatliche Hilfe wie Luther gehofft, weil in einem großen Land seine Briefe mit Sorgen für das kleine Volk nicht immer schnell und positiv beantwortet wurden. Die Unterhaltskosten hat er meist selbst verdient und so auch seine Schüler gelehrt. Darum musste der tschuwaschische Erzieher unter nicht weniger schweren Bedingungen als der deutsche Reformator arbeiten – das leidgeprüfte tschuwaschische Volk brauchte Schulen für die Aufbewahrung seines nationalen Geistes, um den Prozess seines Aussterbens zu verhindern. In der Propagierung der Wiederbelebung geistiger und moralischer Werte seiner Nation war Luther, unserer Meinung nach, viel entschlossener. Seiner großen Sache gewiss, um die Freiheit aller Christen und des Priestertums für alle kämpfend, Zorn gegen den Ablasshandel ausdrückend, konnte er öffentlich erklären: “Die Wut Roms und die Gnade Roms sind mir völlig gleichgültig”, während Jakowlew als Vertreter eines kleinen Volkes im großen Russland mit höchster Diplomatie vorgehen musste. Wenn sich Jakowlew solche Aussagen gegen Moskau erlaubt hätte, würde das seine Schule und seinen Wohlstand gefährdet haben. Aber der gerade Weg ist nicht immer der kürzeste. Jakowlew ist selbst am Leben geblieben, hat seine Schulen erhalten und als Ergebnis von seinem dankbaren tschuwaschischen Volk den Titel “Patriarch der tschuwaschischen Kultur” bekommen: wohl der schönste Lohn für unseren hervorragenden Landsmann.

Die tschuwaschische Aufklärung hat auch den religiösen Hintergrund wie die deutsche. Sie sollte zur Christianisierung der Tschuwaschen beitragen, im Unterschied zu Luther lobt Jakowlew die herrschende Religion. Das Ziel der Aufklärung war die Aneignung christlicher Ideale, geistige Annäherung und Vereinigung mit dem russischen Volk. In Jakowlews Vorstellung entsprach Christentum einem 1000-jährigen Baum, unter dessen Zweigen sich viele kleine Obdach suchende Vögel verstecken können. Aber in der Kirche und in der Schule soll die Muttersprache herrschen: Muttersprache im Unterricht, im Gottesdienst, das jedem Tschuwaschen verständliche Evangelium in der Muttersprache, Lehrer und Priester aus der Stammbevölkerung, aus den Bauern – das waren seine Aufklärungsmittel.

Die Geschichte der tschuwaschischen Schulen schildert der Erforscher der tschuwaschischen Sprache Johannes Benzing in seiner einzigartigen Arbeit “Gebietsbeschreibung von Tschuwaschien”. Wenn man dieses Manuskript in die Hand nimmt, so entdeckt man das Material im Umfang von 200 Schreibmaschinenseiten über die Wirtschaft, Kultur und Geschichte des tschuwaschischen Landes. Im Kapitel “Schulwesen” (Benzing, 1942, S. 91-94) finden wir die Information, dass die ersten tschuwaschischen Schulen in Kazan im 17. Jahrhundert eröffnet wurden, sie waren vollkommen der Kirche unterstellt, in Zivilsk und Sviyazhsk gab es auch reine Missionärschulen, die der klerikalen Russifizierungspolitik dienten, darum haben Eltern sich oft geweigert, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Der Unterricht in der Muttersprache ist im Bildungsprogramm des Orientalisten Ilminsky als Methode gegen die Islamausweitung und für die Christentumsverbreitung unter den Tschuwaschen entstanden. An der Spitze dieser Bewegung stand Jakowlew, der schon als Gymnasiast in seinem Haus eine Schule für Tschuwaschenkinder eröffnet hatte, welche er aus den Dörfern holte; alles aus eigenen Kräften (ebd., S. 92). Diese Arbeit unterstreicht, dass im Laufe eines halben Jahrhunderts die Aufklärung der Tschuwaschen mit dem Namen von Jakowlew verbunden war, der das tschuwaschische Alphabet eingeführt und die Fibel auf Tschuwaschisch geschaffen hat.

Durch die Gründung nationaler Schulen machte Jakowlew seinen Weg über die Fibel zur Bibel, er verstand: nur wenn die Tschuwaschen christlich waren, war die Aufklärung und Bekanntschaft mit der Kultur anderer Völker möglich. Die Bibel (wenn auch auf Tschuwaschisch) entsprach der zaristischen Politik der Christianisierung und durfte also gedruckt werden. Ausserdem wurde die Übersetzungsarbeit von der Missionsgesellschaft finanziert. Iwan Jakowlew und seine Gleichgesinnten haben auf Grund eines neuen Alphabets das “Abc-Buch für Tschuwaschen mit dem Zusatz der russischen Fibel” und die Übersetzung aus dem Tatarischen “Grundsätze des russisch-orthodoxen Glaubens” veröffentlicht, die die tschuwaschische Literatursprache festgelegt haben. Luthers Übersetzung der Bibel wurde für die Deutschen zur Fibel – man lernte danach lesen und schreiben. Die erste tschuwaschische Fibel diente nicht nur dafür, Grundlagen des Lesens und Schreibens zu vermitteln, sondern auch dem Ziel, die notwenigen Verhaltensregeln des Bauernlebens anzuerziehen. Als erstes Volksbuch widerspiegelt es viele Aspekte des geistigen Lebens der Tschuwaschen: ein Teil des Abc-Buches war den Gebeten gewidmet, der andere waren kurze Moralpredigten, Appelle an die Anfänger, die lesen und schreiben lernen. Für seine Fibel hat Jakowlew tschuwaschische Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten verwendet, damit die Schüler Volksweisheit und Folklore studieren, so wurde die Liebe zur Muttersprache vermittelt und seit der frühen Kindheit geduldsames, ernstes Verhalten zum Lernen entwickelt. Luther zeigte auch großes Interesse für Sprichwörter, er hielt sie für kluge Belehrungen und starke Beweise, und überhaupt lebte er in der Zeit, welche die Blütezeit des deutschen Sprichworts genannt wird.

Schöpfer der modernen tschuwaschischen Schrift und Literatur und Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache werden von Zeitgenossen als Pioniere der Nationalliteratur anerkannt. Vergleichbar sind ihre Ergebnisse in der Veröffentlichung der Literatur in ihrer Muttersprache. Luthers Name stand auf der Titelseite von einem Drittel der in Deutschland 1520-1540 veröffentlichten Werke (Tolstova, 2011, S. 97). Dank der Organisation der Übersetzungszentren von Jakowlew und seinen Schülern in Simbirsk belegten tschuwaschische Ausgaben einen der führenden Plätze im Wolgagebiet unter den Publikationen in anderen Sprachen (von 1893 bis 1899 wurden 115 Titel auf Tschuwaschisch, 57 auf Tatarisch, 12 auf Mordwinisch veröffentlicht. Insgesamt erschienen in der Zeit von 1872 bis 1917 in der tschuwaschischen Sprache 678 Titel).

“Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.”

(Luther: Predigt vom Ehestand, 1525; Lutherlexikon, 1989, S. 24)

Äußerst produktiv und engagiert haben sich Luther und Jakowlew mit Problemen der Erziehung durch praktische Tätigkeiten der jüngeren Generation in der Familie und Schule befaßt. Für die praktische Umsetzung von Luthers Ideen der Tätigkeitserziehung in der Simbirsker Tschuwaschischen Schule gibt es viele Erinnerungen. Verbindung der Erziehung mit der Praxis als Problem wurde nicht nur von Luther und Jakowlew gelöst, es existierte in der gesamten Geschichte der Menschheit als eine Form der Kampfes ums Dasein – Vorbereitung junger Menschen auf produktive Arbeit, die Entwicklung natürlicher Bedürfnisse, zu arbeiten und in dieser Arbeit glücklich zu sein; Festigung der Einheit von Theorie und Praxis, Kenntnissen und Fertigkeiten; maximale Nutzung der Möglichkeiten der jüngeren Generation für geistiges und materielles Gedeihen des Volkes. Luther und Jakowlew haben bewiesen, dass es gerade durch die Arbeit möglich ist, kulturelle, sprachliche und nationale Identität des Volkes aufzubewahren, aber diese Arbeit muss zweckgebunden organisiert sein. Die Aufklärer strebten nach der Integration der Wissenschaft ins Leben: die Theorie ohne Praxis ist tot, die Praxis ohne Theorie ist blind.

Es sei darauf hingewiesen, dass in der Familien- und Arbeitserziehung der Tschuwaschen die pädagogische vom Großvater bestimmte Strategie des Hauses eine wichtige Rolle spielte. Unter den wirtschaftlichen Bauten war eine Sommerküche wichtig – laç, wo die Mädchen und Jungen von den Großeltern gelehrt wurden. In einer großen Familie hatte hier jeder seinen Platz – wie in dem Klassenzimmer für Werkunterricht, hier lernten die Kinder Kochen und Holzarbeiten. Eine Art nationales System der organisierten Arbeitserziehung im Haus funktionierte in allen Familien – Stall, Scheune, Garten, Gemüsegarten, und überall gab es eine strikte Trennung der Arbeit für den Mann und die Frau, für Erwachsene und Kinder. Echte Volksschulen waren ulah (Versammlungen der Kinder und Jugendlichen bei einem einsamen alten Mann oder alten Frau), larma (mehrtägige Besuche bei Verwandten in den naheliegenden Dörfern zwecks der Handarbeit). Es waren Familienschulen für Fleiß, Moral und Schönheit mit Elementen des Wettbewerbs. So wurde geistige und physische Eintracht anerzogen – kămăl (ein guter psychischer Zustand des Menschen). Laut den Forschern gibt es “in der tschuwaschischen Sprache etwa 700 Wörter, die den psychischen Zustand des Menschen ausdrücken” (Tolstova, 2011, S. 74). In Fragen der Arbeitserziehung zielen Luther und Jakowlew bei den Jugendlichen auf die Herausbildung der Bereitschaft zu arbeiten, damit sie zum Wohlstandwachstum des Landes beitragen.

Die Berücksichtigung von Aspekten der Arbeitserziehung in jeder Epoche durch die pädagogischen Ansichten von Luther und Jakowlew erlaubt, vom regionalen Charakter der Arbeitsprozesse zu sprechen und von der Notwendigkeit, dadurch die Interessen der einheimischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Die Idee vom Nutzen der Arbeit im Gartenbau, in der Landwirtschaft und der Holz- und Metallverarbeitung für die Gesundheit, haben sie in den von ihnen selbst gegründeten Schulen realisiert. Darum stimmt es, dass Luther und Jakowlew uns nicht nur die Schule gebaut, sondern auch eine Arbeit darin gegeben, und am besten auf die Frage “Was und wie lehren?” geantwortet haben. Seit 1912 war Jakowlews Schule rentabel, d.h. sie existierte von den von Schülern selbst verdienten Mitteln, das Lernen war kostenlos. Jakowlews Schule kann ein agropädagogischer Komplex genannt werden. Wenn I.T. Trofimov, Zögling der Simbirsker Tschuwaschischen Schule in seinem Lehrer praktischen Sinn und die Fähigkeit unterstreicht, seine Kenntnisse in der Praxis anzuwenden, so betonen die Lutherforscher immer wieder, dass der Reformator glaubte, die Arbeit der Bauern und Handwerker sei eine heilige Tat.

„Denn nichts auf Erden kräftiger ist, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaftig zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen (…), den Neid und Hass zu mindern (…) ist nichts kräftiger, denn die Musika.“

(Luther, zitiert in: Motz, 1796, S. 7; Bauernfeind, 1917, S. 25)

Die Einstellung von beiden großen Aufklärern zur Musik und zu Volksliedern weist auch Ähnlichkeiten auf, denn in der Situation des totalen Analphabetismus ersetzte sie das Buch, und beide schätzten dieses mächtige Erziehungsmittel. Luther war Autor eines Gesangbuches, das sich großer Beliebtheit erfreute. Als Schüler und Student sang Luther gut und musizierte gern. Er hielt Musik für das größte Geschenk Gottes nach der Theologie und wollte “sonderlich jungen Leuten diese Kunst befohlen und sie hiermit ermahnt haben, dass sie ihnen diese köstliche, nützliche und fröhliche Kreatur Gottes teuer lieb und wert sein lassen“ (Bauernfeind, 1917, S.26). Der Reformator hat Psalmen und Lieder des lateinischen Mittelalters überarbeitet, eigene geschrieben und Gesangsbücher herausgegeben.

Um Volkslieder zu sammeln, hat Jakowlew oft Gesangs- und Musiklehrer in verschiedene Provinzen des Wolgagebiets geschickt. Der Lehrer für Kirchengesang Kolpakov berichtet, wie Jakowlew ihn mit dem technischen Assistenten Idobaev 1898 in den Simbirsker und Buinsker Landkreis zwecks Sammlung tschuwaschischer Motive entsandte. Sie haben Jakowlew etwa 80 Lieder gebracht, vor allem viele “Takmaksem” (Scherzlieder). Die erste Liedersammlung auf Tschuwaschisch wurde von Jakowlew 1883 in Kazan unter dem Titel “Chorgesänge für Kirchen” veröffentlicht. In der Simbirsker zentralen tschuwaschischen Schule wurde dem Chorgesang in der Muttersprache und auf Russisch große Aufmerksamkeit geschenkt. Es gab 3 Stunden Musikunterricht pro Woche. A.P. Petov (Turinge), Absolvent des Lehrerseminars für Nichtrussen, hat hier Ende der 70er Jahren einen originellen Knabenchor organisiert, der in Simbirsk sehr beliebt war. Er wurde in die Stadtkirchen, Versammlungen lokaler Verwaltungen eingeladen, und tschuwaschische Bauern kamen aus ganz Tschuwaschien, um den Chorgesang zu hören. Schüler der Simbirsker Tschuwaschischen Schule haben die Oper “Ivan Susanin” aufgeführt. Die Zeitung “Simbiryanin” schrieb, dass die gründliche Vorbereitung des Chors und des Orchesters sofort zu hören waren. Jeder Chor, jede Arie riefen Beifallstürme hervor. “Ich fühle die Wahrheit …” – sang Pavlov. “Seine Stimme ist nicht donnernd, aber erstaunlich veredelt … Ein Sturm des Orchesters beim Spiel von “Sei gerühmt…”. Eine allgemeine Begeisterung zeigt sich im Saal. Vergessen ist, dass es Laien und Schüler sind. Unter den Gästen sind große Kenner. Und alle sind gerührt, hingerissen. – Bewundernswertes Gehör haben diese Tschuwaschen” (Tolstova, 2011, S. 68).

Jakowlew war überzeugt, dass ein Lehrer imstande sein soll, den Chor zu organisieren und ein Musikinstrument zu spielen, um den Schülern ästhetischen Sinn anzuerziehen. Diese Haltung erinnert sehr an Luthers Worte: “Ein Schulmeister muß singen können, sonst sehe ich ihn nicht an” (zitiert nach Gedike, 1792, S. 62; Walch 1740-1753, Bd. 22, S. 2250). Zu außerunterrichtlichen Aktivitäten der Schüler in Jakowlews Schule gehörte der Unterricht an Blas- und Streichinstrument und Singen. Und in der Musikerziehung hat er sehr empfohlen, Violinspiel zu unterrichten, weil sogar elementares Können, Geige zu spielen, sehr hilfreich für Singen wäre, und das beste Mittel, den Chor zu organisieren. Die Simbirsker Schule hatte 3 Chöre: Männer-, Frauen- und gemischten Chor, drei Orchester: Streich-, Symphonie-, Blasorchester. Es ist kein Zufall, dass dank der erfolgreichen Musikerziehung einige Schüler ihr musikalisches Talent entfaltet haben und später bekannte Komponisten wurden: S.M. Maksimov, F.P. Pavlov, G.G. Liskov und T.P. Paramonov. Musikalische und literarische Abende fanden regelmäßig in der Schule statt. Bis heute wird Tschuwaschien das Land der 100.000 Lieder genannt. An dem Unionsfestival der Lieder nahmen die Tschuwaschen neben Ukrainern und Balten die ersten Plätze ein. In der Hauptstadt der Tschuwaschischen Republik Tscheboksary (453000 Einwohner) gibt es heute 5 Musikschulen, darunter eine namens S.M. Maksimov; die Musikfachschule trägt den Namen von I.P. Pavlov – es sind Jakowlews Schüler. Alle oben genannten Tatsachen beweisen, welchen großen Platz im Bildungsprozess der deutschen oder tschuwaschischen Schule die Musik hatte.

„Wenn ein ehelich Mann sein Lebtage nichts anderes Gutes thäte denn zöge allein das Kind recht (…), er hätte ihm genug gethan (…).“

(Luther, zitiert in: Gedike, 1792, S. 26; Walch, 1740-1753, Bd. 10, S. 752)

Wenn Luther seine grausame Kindheit mit Strafen und Ruten beschreibt, so fällt die Lebensgeschichte Jakowlews ein und vor den Augen entsteht die Gestalt eines Babys, das mit 3 Tagen ein Waise und dann von einem Bauern adoptiert wurde, dann die Gestalt des Jungen Wanja, der für einen blinden alten Mann – Opa Pachom sorgt. So beschrieb Iwan Jakowlew seine Amme und das ehrfürchtige Verhalten der Tschuwaschinnen zum Kind: “Aus Barmherzigkeit hat sie mich gestillt, kein Geld dafür nehmend. Solche guten Taten sind bei Tschuwaschen nichts Besonderes. Waisenkinder nimmt man zu sich ins Haus und erzieht als eigene Kinder” (Яковлев [= Jakowlew], 1983, S. 21-22).

Was Jakowlews Elternhaus angeht, wurde ein fremdes Heim für ihn ein Vaterhaus, so dass er erst mit 17 Jahren erfahren hat, dass er in einer Pflegefamilie aufgewachsen war. Also hat Jakowlew das Recht, über die Rolle der Familie in der Erziehung zu sprechen, wo alle Kinder, egal ob leibliche oder Pflegekinder, gleiche Bedingungen für die geistige und körperliche Entwicklung haben. Für die tschuwaschische Familie gilt: es gibt keine fremden Familien in der großen Sache der Kindererziehung. Die Tschuwaschen besitzen eine reiche Erfahrung in der gemeinsamen Erziehung, die Forscher heben ein sozialpädagogisches Phänomen wie atalăh hervor (der Form und dem Inhalt nah zum deutschem „heimatlich“), das eine positive Rolle in Entwicklung einer guten Tradition der allgemeinen Sorge für die Kindererziehung gespielt hat.

Die Pädagogik der Familienerziehung von Luther und Jakowlew erkennt die Familie als Fundament für die Persönlichkeitsentwicklung an, in der alle notwendigen Voraussetzungen für den Beginn und die Aufrechterhaltung körperlichen und geistigen Wachstums des Menschen in der Gegenwart und Zukunft vorhanden sind. Die Familie ist ein Teil des Staates, wo die Rolle des Vaters bei dem deutschen Reformator und der Familiengebote beim tschuwaschischen Erzieher betont werden. Dabei stellen sich solche Übereinstimmungen heraus:

  • die Übernahme von gleichen Pflichten für alle Familienmitglieder verschiedenen Alters, also nicht nur für die Eltern (besondere Beachtung hatte Jakowlews Broschüre “Eine gute Familie” in der Übersetzung ins Tschuwaschische; für Luther war die herkömmliche deutsche Treue der Familie maßgebend);
  • Sorge für die Autorität der Familie, die von Kindern unterstützt wird, wenn sie miteinander befreundet sind und Familientraditionen befolgen, wenn sich in der Familie sowohl Adoptiv- als auch eigene Kinder wohl fühlen, wenn die Autorität der Eltern natürlich und mit Respekt verbunden ist, wenn alle Funktionen streng geteilt sind und die älteren Menschen mit Aufmerksamkeit vor allem seitens der Kinder umgeben sind;
  • Familie wird als Quelle der Liebe, Moral, Schönheit, Behüterin der Sitten und Bräuche des Volkes und der Kinder, die ein kostbares Geschenk und teuerstes Unterpfand (bei Luther), ein Schatz und Schutz (bei Jakowlew) betrachtet, was von der Natur selbst angelegt wurde und Zurückhaltung, Strenge, Sparsamkeit erfordert;
  • Anerkennung der Disziplin und Selbstdisziplin in der Familie für den Wohlstand des ganzen Landes, was die Verantwortung, Bescheidenheit, Angst vor der Begehung einer Tat gegen die Familie, Gehorsam gegenüber der öffentlichen Meinung, Berücksichtigung volkstümlicher Traditionen vorsieht (sechs Kinder von Luther und sechs Kinder seiner Schwester wohnten in einer Familie; die Simbirsker tschuwaschische Schule als eine Familie unter einem Dach (Jakowlew und seine Familie wohnten in der Schule).

Wir haben betont, dass sich der tschuwaschische Pädagoge, wie auch Luther, sehr auf die Familienerziehung gestützt hat. Die Meinungen der Aufklärer dazu sind ähnlich. Jedoch gibt es eine kleine Differenz, die nicht übersehen werden darf: bei Jakowlew ist der Vater nicht die Hauptfigur – er ist relativ jung, seine Rolle spielt er erst seit der Entstehung der Familie, d.h. seit einigen Jahrtausenden, während die Mutter diese Funktion seit der Menschheitentstehung erfüllt. Daher hat er Väter zu mehr Aktivität in der Familienerziehung ermutigt. Luthers Ansicht über die Rolle eines Vaters ist anders – er trägt die Hauptverantwortung für die Ausbildung und Erziehung des Kindes.

Jakowlews Vermächtnis „Schützt die Familie – sie ist die Stütze des Volkes und Staates“ hat eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der Familie und dem Staat, gegenseitige Verantwortung füreinander vorgesehen, was dem Standpunkt von Luther entsprach, der hohe Anforderungen an die weltliche Macht stellte, die das Wohlergehen der Familienerziehung verantworte. Ein Vater als Bischof und Pfarrer seines Hauses ist für die ordentliche Ausbildung von Kindern verantwortlich, die Familie ist die Basis für Erziehung, im Hausregiment ist der Vater ein Herr, so Luther. “Er muss das Kind strafen wie ein Richter, lehren wie ein Doktor, ihm predigen wie ein Pfarrer oder Bischof” (Lutherlexikon, 1989, S. 350). In seiner bekannten „Predigt das man Kinder zur Schulen halten solle“ verweist er darauf, dass der Vater immer Gleichgewicht halten sollte zwischen Rute und Apfel, zwischen Strenge und Zärtlichkeit und dabei das Kinderrecht nicht verletzen dürfe. Eltern haben seiner Meinung nach Verantwortung dafür, ihre Kinder zu gebildeten Christen, geschickten Männern und Frauen zu erziehen. Leider seien nicht alle Eltern imstande, ihre Kinder wohl zu erziehen, darum sollte die häusliche Erziehung durch die Schule unterstützt werden. Schulen sind für Luther auch wichtig für den weltlichen Stand. Die Ratsherren in Städten und die weltliche Obrigkeit müssen auch dafür sorgen, die Untertanen zu zwingen, ihre Kinder zur Schule zu halten. Die Kirchen mit ihren Gütern und Reichen sollen der Schule finanziell beistehen, der Staat sollte die Schulen unterstützen, erneuern und verbessern (Hofmann, 1986, S. 74 ff.).

Luther schrieb seine Arbeiten in Form von christlichen Ermahnungen für die gute Sache der Kinderbildung. Da die Schulen in einem Zustand der Verwahrlosung sind, so dass Luther sie Eselsstätten und Teufelsschulen nennt, darum erinnert er wieder an die theologische Verantwortung für die Erziehung der jungen Menschen und fordert christlichen Unterweisung in der Schule und im Elternhaus zu schaffen. So fühlt Luther seine Verantwortung für die Erziehung der Kinder und mischt sich in Angelegenheiten der Erziehung, gibt Anweisungen, ermahnt, ohne sich mit Entwicklung pädagogischer Programme zu beschäftigen.

Wenn ein Weib der Kinder fein wohl zeucht – gegen solchen Schmuck Sind Perlen, Sammet und gülden Stück, Wie ein alter, zerrissener, geflickter Bettlersmantel.

(Luther, zitiert nach Gedike, 1792, S.35; Walch 1740-1753, Bd. 13, S. 1986)

Luther war mit Fragen der Frauenbildung beschäftigt, denn sie spielen eine führende Rolle in der Kindeserziehung: sie füttern das Kind, somit erziehen sie es. Im Russischen haben die Verben (füttern und erziehen) eine Wurzel. Im Zeitalter des Humanismus haben sich Ansichten über Frauen geändert, das hing mit der Anerkennung ihrer Menschenwürde und der Emanzipation zusammen. Im Protestantismus ist die Frau dem Manne gleichberechtigt. Martin Luther stand im Kontakt mit der Schwester Karls V., der Königin Maria von Ungarn. Die Herzoginnen Katharina von Sachsen und Elisabeth von Brandenburg, die Prinzessin Margaretha von Anhalt waren mit Wort und Schrift für die Reformation tätig (Schmidt, 1861, S. 11). Luther, als einer der ersten in Europa, hat sich für die Ausbildung nicht nur der Jungen, sondern auch der Mädchen eingesetzt. Er forderte die Schaffung von Schulen für Mädchen, wo sie für eine Stunde am Tag hingehen und das Evangelium in Deutsch oder Latein lesen. 1530 entstand in Wittenberg die erste Mädchenschule. Luther war überzeugt davon, dass die Ausbildung von Mädchen notwendig war, damit sie in Zukunft die Kinder richtig erziehen, gute Ehefrauen, Mütter und Hausfrauen werden. Er sah die Berufung der Frau in der Ausführung eines gesellschaftlichen und natürlichen Gesetzes.

Jakowlew hat über die Notwendigkeit der Frauenaufklärung im Dezember 1870 in einem schriftlichen Bericht an den Kurator des Kazaner Schulbezirks geschrieben und über die Notwendigkeit der Organisationen von Sonderschulen für sie argumentiert. 1876 hat er wieder das Thema aufgegriffen und angeboten, eine Frauenabteilung mit einem Programm für 2 Klassen zu öffnen. Die Frage wurde wegen der politischen Situation in Rußland und des Mangels an Mitteln verschoben. Ohne auf eine offizielle Genehmigung zu warten, begann Jakowlew mit der Aufnahme der Mädchen in die künftige Schule. Im September 1878 ist bereits eine Frauenabteilung in der Simbirsker Schule entstanden, die Jakowlews Frau geleitet hat. In der Frau sahen beide Erzieher eine mächtige Kraft zur Wiederbelebung der Kultur der Stammbevölkerung, darum haben sie weder Zeit noch Geld für die Ausbildung künftiger Lehrerinnen und Mütter gescheut. Jakowlew schrieb, dass der Erfolg des gesamten Aufklärung wesentlich davon abhängt, welche Stellung die Frau im Volk hat. Der Wichtigkeit der Frauenbildung gewiss, unterhielt er diese Abteilung mit eigenen Privatmitteln bis 1881, trotz fehlender finanzieller Mittel.

Schlussgedanken

Jakowlews Weltanschauung basiert auf der Anerkennung der Ausbildung und demokratischer Reformen als dominierende Idee für die Befreiung der Menschen durch Bildung von breiten Volksmassen inklusive Frauen, durch das Unterrichten des Handwerks und der Landwirtschaft. Seiner Meinung nach, ist ohne die Muttersprache keine vernünftige Aufklärung möglich, die Hauptquellen der Ausbildung waren für ihn Philosophie, Psychologie, Logik, Physiologie, Anatomie; vorgezogen hat er Volkspädagogik. Bildung von guten Menschen und guten Bürgern, dann von guten Lehrern war Zweck der Erziehung; Entwicklung des Pflichtgefühls gegenüber dem Volk, der Arbeitsgewohnheit, der Fähigkeit, geistige Arbeit mit der physischen zu verbinden, das waren die Aufgaben der Bildung und Erziehung; Naturgemäßheit, Anschaulichkeit, Konsequenz und erziehende Ausbildung waren die Grundlage der von ihm entwickelten Programme.

Diese parallele Untersuchung des pädagogischen Erbes von beiden Aufklärern soll einen Beitrag zur vergleichenden Pädagogik leisten und deckt die globale Bedeutung der inländischen Theorie und Praxis der Erziehung auf; sie hilft, Trends der pädagogischen und bildungspolitischen Entwicklung in anderen Ländern der Welt festzustellen. Der Einfluss Luthers und Melanchthons auf das Bildungsdenken in Russland und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern war bereits Gegenstand diverser Diskussionen (Golz / Mayrhofer, 1996), die durch Informationen über den Tschuwaschen Jakowlew ergänzt werden können.

Die pädagogische Tätigkeit von Luther und Jakowlew hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Völker und erwies sich als fruchtbar vor allem dank der Gründung und Vervollkommnung der Schriftsprache, der Veröffentlichung von Lehrbüchern und Handbüchern, der Schulung und Erziehung in dieser Sprache, darum gelten der deutsche Erzieher und tschuwaschische Lehrer als:

  • Schöpfer der Nationalsprache;
  • Begründer der Literatur ihrer Völker durch die Bibelübersetzung;
  • Autoren der für Volkspädagogik relevanten Arbeiten;
  • Quelle für zahlreiche Studien über die Probleme der Bildung und Erziehung unter modernen Bedingungen,
  • Pioniere in der Organisation der Frauenbildung.

Als Gründer und Schöpfer sind Luther und Jakowlew keine historischen Systematiker. Sie haben großes praktisches Material gesammelt und den Forschern zur theoretischen Behandlung übergeben. Ihre pädagogischen Ideen, die nicht frei von Kontroversen sind, gibt es in verschiedenen Arbeiten verstreut und sie werden oft aus Not heraus formuliert. Aber Luther und Jakowlew leben vom Evangelium und finden in ihm die Kraft und Zuversicht für ihre Tätigkeit. Ihrer Mission gewiss, beginnen sie eine neue geistige Epoche, ihre pädagogischen Ideen wurden von Zeitgenossen aufgegriffen und weiterentwickelt. Pädagogische Ideen von Luther und Jakowlew sind in Satzungen von Schulen verankert, was die Verbreitung ihrer Lehre auf dem Gebiet der Jugenderziehung ermöglicht hat.

Luther lebte in der deutschen Sprache, Literatur, Philosophie, die er geformt und geprägt hat, und ohne Jakowlews Namen gäbe es keine Konferenz zum Thema Kultur und keine Promotion zu Problemen der Bildung und Erziehung in Tschuwaschien.

Literatur

  • Bauernfeind, G. (1917): Luther als Musiker. München: Müller & Fröhlich Verlagsbuchhandlung.
  • Benzing, J. (1942): Gebietsbeschreibung von Tschuwaschien. Berlin.
  • Gedike, F. (1792): Luthers Pädagogik oder Gedanken über Erziehung und Schulwesen aus Luthers Schriften gesammelt. Berlin: Unger.
  • Golz, R. (2003): Die “Volkstümlichkeit” im Werk des Klassikers der russischen Pädagogik, K.D. Usinskij. In: Humanisierung der Bildung: Jahrbuch 2002/2003. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2003, S. 59 – 79; siehe auch: Golz, R. (2003): European or National Education? K. D. Usinskij and Comparative Education. In: Comparative Education in Teacher Training [Sofia, Bulgaria] 2(2003), pp. 43 – 46
  • Golz, R. / Mayrhofer, W. (Hrsg.) (1996): Luther und Melanchthon im Bildungsdenken Mittel- und Osteuropas. Münster: LIT Verlag
  • Heine, H. (1835 / 2015): Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. [In: Der Salon Bd. II (1835)]. In: http://gutenberg.spiegel.de/buch/zur-geschichte-der-religion-und-philosophie-in-deutschland-378/1 (22.10.2015)
  • Luther, M. (1986): An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen. In: Hofmann, F. (Hrsg.): Pädagogik und Reformation. Von Luther bis Paracelsus. Berlin: Volk und Wissen, S. 70-87
  • Lutherlexikon (hrsg. von Kurt Aland) (1989): 4., durchges. Aufl., Nachdr. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht.
  • Schmidt, K. (1861): Geschichte der Pädagogik. Bd. 3. Cöthen: P. Schettler.
  • Walch, J.G. (1740-1753): Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften. 25 Bände. Halle: Gebauer
  • Wolkow , G.N. (1983): Das reformatorische, sittlich-ethische und pädagogische Wirken Martin Luthers. In: Pädagogik – Psychologie. Erfurt: Pädagogische Hochschule, № 10, S. 15-32.
  • Курило [= Kurilo], О.В. (1996): Мартин Лютер – реформатор, проповедник, педагог. Москва: Изд-во РОУ.
  • Motz, J.F.W. (1796): Leben, Meinungen und Schicksale D. Martin Luther’s, größtentheils mit dessen eigenen Worten, für gebildete Leser aus allen Ständen. Halle: Johann Jakob Gebauer.
  • Толстова [= Tolstova], Е.В. (2011): Германская реформация просвещения и современная страноведческая ориентация преподавания иностранных языков. [Die deutsche reformatorische Aufklärung und die gegenwärtige landeskundliche Orientierung des Fremdsprachenunterrichts.] Моногр. Чебоксары: Новое время.
  • Яковлев [= Jakowlew], И.Я. (1983): Воспоминания. [Erinnerungen] Чебоксары: Чувашское книжное издательство.

Über die Autorin

Dr. Elena Vladimirovna Tolstova: Dozentin der Pädagogik, Cheboksary Cooperative Institute (branch of RUC) [http://cheb.ruc.su/], Russia. Contact: bella-lucia@rocketmail.com

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