Resonanz als Bedingung der Möglichkeit von (inklusiver) Pädagogik: Pädagogisch-anthropologische Reflexionen zum Menschenbild demokratischer Erziehung

By Robert Schneider | February 26, 2017

Zusammenfassung: Anders als in früheren Arbeiten des Autorswird die hier vorgelegte Skizze einer Pädagogik des Dialogs nicht über Anerkennungsbeziehungen entwickelt. Die Bezüge zwischen Person(en) und Welt werden hier allgemeiner und dennoch spezifischer gedacht als dies im Rahmen von Anerkennung möglich wäre. Allgemeiner, weil Resonanzerfahrungen solche der Anerkennung umfassen, aber zudem über diese hinausgehen. Spezifischer, weil Resonanz eine Wechselseitigkeit betont, die in Formen der Anerkennung möglich ist, keinesfalls aber vorausgesetzt werden kann. Resonanz meint das taktvolle Abwechseln von Erfahrungen der Integration und Entgrenzung von Menschen, ein wechselseitiges Antworten (Stern, 1924, S. 141; Rosa, 2012, S. 10). Ohne diese Erfahrung – so die These – lässt sich Bildung als Selbstbestimmung nur verkürzt denken.
Schlüsselwörter: Personalismus, Selbstbestimmung, Resonanz, Bildung

Summary (Resonance as a condition of pthe potential for [inclusive] pedagogy: pedagogical-anthropological reflections on the conception of humanity in democratic education): In contrast to the author’s previous work the present sketch of a pedagogy of dialogue is not developed through relations of recognition. In this case the relationship between person(s) and the world are conceptualized more general and yet more specific than would be possible in the framework of recognition. More general because experiences of resonance comprise those of recognition but surpass them. More spcific because resonance highlights reciprocity, which is possible in recognition but cannot be assumed. Resonance means the tactful alternate exchange of human experiences of integration and dissolution of boundaries, a reciprocal response (Stern, 1924, p. 141; Rosa, 2012, p. 10). Without this experience—the claim states—education as self determination can only be partially understood.
Keywords: Personalism, self-determination, resonance, education

Резюме (Роберт Шнайдер: Эмпатия как условие для развития [инклюзивной] педагогики: педагого-антропологические размышления на тему образа человека в рамках демократического образования): В отличие от других работ автора, представленный в этой статье проект педагогики диалога не рассматривается по углом признания. Отношения между человеком и миром представлены здесь более обобщённо и в то же время более определённо, чем это было бы возможно в рамках рассуждения о признании. Более обобщённо, так как эмпатия включает в себя и признание, но при этом является более широким концептом. Более определённо, так как эмпатия подчёркивает возможность смены ролей, которая хоть и возможна в рамках концепта признания, но не является там необходмимой. Эмпатия подразумевает деликатный обмен опытом интеграции и вовлечения людей, двустороннюю коммуникацию (Штерн, 1924, С. 141; Роза, 2012, С. 10). Без такого опыта, согласно нашему утверждению, концепт образования как самоопределения не может достичь своего полного потенциала.
Ключевые слова: Персонализм, самоопределение, эмпатия, образование


1. Zum Zusammenhang von Pädagogik, Inklusion und Demokratie

Zunächst soll versucht werden, demokratische Erziehung und Inklusion ins Verhältnis zu setzen und dabei insbesondere der Frage nachzugehen, inwiefern beide aufeinander bezogen werden können.

Demokratie, so lehrt Aristoteles (Pol, z.B. 1280 a 9, 1328 b 30-1329 a 5) – bei aller grundsätzlichen Skepsis diesem Urteil gegenüber – ist nicht die beste aller Varianten politische Führung zu strukturieren. Insofern hat diese – neben der Oligarchie – auch nur Anteil an der idealen Staatsform (als Verfassung) der politeia. Die Demokratie, so heißt es in der Politik (ebd., 1280 a 30ff, 1283 a 15-25), zeichne sich aber jedenfalls dadurch aus, dass nicht der Besitz – und hier könnten auch scheinbare Besitztümer wie Talente und Fähigkeiten subsumiert werden – über Teilhabe entscheidet, sondern die Freiheit der Bürgerinnen und Bürgeri. Diese Freiheit wird auf Basis der anthropologischen Bestimmung des Menschen als zoon politicon (ebd., 1252 a) dazu genutzt, um das gute Leben (eudamonia) in Gemeinschaft zu verwirklichen (ebd., 1252 a, 1280 a 30ff).

Hier knüpft Pädagogik an, denn selbst wenn der Mensch dazu veranlagt ist, sich der Gemeinschaft zuzuwenden, wie gelingt diesem eine tugendhafte Ausrichtung auf das gute Leben in Teilhabe? Was bedeutet es überhaupt ein ‚tugendhaftes‘ bzw. angemessenes Leben zu führen? Und das unter Realisierung seiner Freiheit, die ja offensichtlich auch darauf verweisen muss, dass Menschen irgendwie auch ungleich/ verschieden sind? Welche Perspektive auf den Menschen offenbart sich darin?

Anregungen dazu finden sich etwa in Deweys (1916/1993, S. 121) philosophischer Grundlegung der Pädagogik, in der er diese Idee der Gemeinschaftsbildung „eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung“ nennt, in der „jeder sein Handeln zu dem der anderen in Beziehung zu setzen und umgekehrt das Handeln der anderen für sein Tun in Rechnung zu stellen hat“ (ebd.). Für die Erziehung ergebe sich daraus die Forderung in „den einzelnen ein persönliches Interesse an sozialen Beziehungen und am Einfluss der Gruppen“ (ebd., S. 136) zu wecken „und diejenigen geistigen Gewöhnungen“ zu schaffen, „die soziale Umgestaltungen sichern, ohne Unordnung herbeizuführen.“ (ebd.)

Offensichtlich meinen Demokratie und demokratische Erziehung Formen der kooperativen Erfahrung in Strukturen, die reguliert werden durch (a) Relationen bzw. Bezüglichkeiten, (b) durch Nicht-Affirmation und (c) Transformation.

Damit werden eben jene Bestimmungsstücke thematisiert, die Benner (2005, Kap. 3) in seiner Grundlegung von Bildung und Erziehung angibt und durch die er die Selbstbestimmung von Menschen charakterisiert sieht. Er rekurriert dabei auf einen Begriff von Praxis, der gleich noch näher ausgeführt werden und für ein angemessenes Verständnis einer Pädagogik der Person leitend sein wird. Was Benner allgemein-pädagogisch argumentiert, lässt sich in ähnlicher Form bei Feuser (2001; 2005; 2013) und seinen Überlegungen zu einer Integrativen bzw. Inklusiven Pädagogik finden, die als demokratische und humane Pädagogik (2001) bezeichnet wird, insofern (er, Erg.RS) diese Behinderungen als Hinderungen zu bestimmen versucht. Der Begriff der Behinderung wird dabei in weitem Sinne verstanden und zwar „als Ausdruck dessen […], was ein Mensch mangels angemessener Möglichkeiten und Hilfen und durch vorurteils-belastete Vorenthaltung an Inhalten und sozialen Bezügen nicht lernen durfte und als Ausdruck unserer Art und Weise, ihn wahrzunehmen, mit ihm umzugehen.“ (ebd.)

Offensichtlich tendieren Praxen – eben auch die pädagogischen – dazu, Menschen zu reduzieren, ja gar so weit zu verengen, dass diese nur mehr als Träger von Merkmalen oder Kennzahlen erscheinen. Ihr So-Sein verschwindet hinter dem ‚Symptomwert‘, der nicht einmal als einer eines Symbols fungieren kann (Stern 1924, S. 129). Diesen „Prozess der Transformation eines anerkennungsbasierten, auf gleichberechtigte und gleichwertige Teilhabe aller an Bildung für Alle orientierten, humanwissenschaftlich fundierten erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisstandes“ als Form „pädagogische(r) Praxis einer Allgemeinen Pädagogik“, bezeichnet Feuser (2013) als Integration; Inklusion meint dann folgerichtig die „Zielsetzung und Realisierung“ (ebd.) dieses Prozesses.

So lässt sich vorerst resümieren: Eine echte allgemeine Pädagogik, wie Eberwein und Knaur (2002, S. 29) diese nennen, liegt mit einer Pädagogik dann vor, wenn – wie Feuser (2005, S. 173 f.) fordert – diese human und demokratisch ausgerichtet ist, weil in Rechnung gestellt wird, dass
(a) alle Kinder und Jugendlichen adressiert sind – das bezeichnet die Teilhabe –,
(b) die pädagogische Praxis ohne kooperative Momente und Interdependenzen der Praxis der Personen Selbstbestimmung – als Ausdruck von Freiheit und Wertsetzung – nicht realisieren kann und
(c) diesen dabei vorurteilsbewusst begegnet werden soll, in dem Sinne, dass Momente der Reduzierung ins Bewusstsein gelangen.

2. Das Kriterium: Der Mensch und dessen Selbstbestimmung …

Bieri (2005, S. 1) bringt die Idee der Bildung als Selbstbestimmung auf den Punkt, wenn er schreibt: „Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein“. Diese Selbstbestimmung pendelt in ihrer Ausrichtung auf demokratische Lebensformen im Sinne des guten Lebens zwischen Fehlformen (Benner 2005, S. 37-44), insoweit weder ein Zuviel, noch ein Zuwenig von Freiheit – Willkürfreiheit bzw. Wahlfreiheit – und Teilhabe – totale Inkludierungii bzw. Extinktion – wünschenswert erscheint. Hier scheint eine gute Anschlussmöglichkeit an Überlegungen von Patry (z.B. 2000) zu Situationsspezifität und der Frage eines angemessenen Handelns vorzuliegen.

Das gute Leben, wie es z.B. auch Ricoeur (1990/2005) im Anschluss an Aristoteles als „Grenzidee“ (S. 218) von Praxis entwickelt, lässt sich als „Ethische Ausrichtung […] auf das ‚gute Leben‘ mit Anderen und für sie in gerechten Institutionen“ bezeichnen. Daran anschließend lassen sich die beiden Aspekte des (2.1) geglückten Lebens und der (2.2) Gerechtigkeit als zwei Antworten auf die eine Frage nach der Angemessenheit des Handelns scheiden.

(2.1) Mit dem gelingenden bzw. geglückten Leben (Böhm 2007, S. 62) wird zu bezeichnen versucht, was die Pädagogik häufig mit Selbstbestimmung umschreibt. Es handelt sich dabei um eine Erfahrung menschlicher Tätigkeit als Praxis – das wurde schon im ersten Abschnitt angedeutet –, die Benner (1980, S. 486) so charakterisiert: „Eine Tätigkeit kann als Praxis bezeichnet werden, wenn sie erstens in einer Imperfektheit des Menschen ihren Ursprung, ihre Notwendigkeit hat, diese Not wendet, die Imperfektheit aber nicht aufhebt, und wenn sie zweitens den Menschen in einer Weise bestimmt, dass diese Bestimmung durch die Tätigkeit selber erst hervorgebracht wird, also nicht unmittelbar aus der Imperfektheit resultiert.“

Die Imperfektheit bezeichnet nun jene Einsicht, die die Pädagogik mit der Idee der Bildsamkeit definiert, also die Tendenz des Menschen von der Bestimmbarkeit in Bestimmtheit – mit Herbarts (1835/1964, § 3) Worten der „Festigkeit“ – durch Tätigkeit überzugehen (auch Stern 1924, S. 82). Dies allerdings ganz im Sinne der Dewey´schen (1925/2007, S. 351) Idee der Tendenz, dass diese Bestimmtheit „nicht länger ein Schlusspunkt [ist], der den Bedingungen äußerlich ist, die zu ihm hingeführt haben; er ist die kontinuierliche, sich entwickelnde Bedeutung gegenwärtiger Tendenzen“.

In dieser Bestimmung lassen sich, die im Teil 1 geforderte Offenheit, Unbestimmtheit und Veränderungsfähigkeit gleichermaßen feststellen. Arendt (1958/2014) fasst dies als vita activa und dabei insbesondere als Handeln auf. Diese Form von Praxis meint die Fähigkeit, ja gar Notwendigkeit des Menschen „selbst einen neuen Anfang zu machen“ (ebd., S. 18). In diesem Faktum menschlicher Personalität verschränken sich dann auch Verschiedenheit und Gleichheit: „Das Handeln bedarf einer Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen, aber dieses auf die merkwürdige Art und Weise, dass keiner dieser Menschen je einem anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder leben wird.“ (ebd., S. 17) Selbstbestimmung wird so zur Möglichkeit, dass Personen sich in Gemeinschaft unterscheiden können (ebd., S. 214), eben einzigartige, selbstwertige „Selbstbestimmungsganzheiten“ werden, wie William Stern (1924, S. 98) dies nennt.

Auf interessante Weise sind Menschen daher in ihrer Selbstbestimmung aufeinander angewiesen. Sie sind dies insoweit, als dieser Vorgang eben nicht bloß ein Aneignen von etwas, sondern vielmehr ein Wechselspiel von erhaltenden und entfaltenden Tätigkeiten (Stern 1923, S. 22-39) ist. Die dabei sich aktualisierenden Werte werden dabei einmal im jeweiligen Vorgang der Selbstbestimmung integriert, gleichzeitig aber auch für fremde Selbstbestimmungen ‚zur Verfügung‘ gestellt. Stern (ebd., z.B. S. 63) nennt diesen Vorgang Introzeption und bezeichnet damit, ganz ähnlich wie Humboldt (1792/1960, S. 235f) in seiner Idee der Bildung, die Interdependenz von Person und Person, sowie Person und Welt: „Indem die Individuen die Hypertelie des Ganzen in sich aufnehmen und doch autotele Persönlichkeiten bleiben, nehmen sie zugleich dem Ganzen einen Teil seiner Aufgabe ab und tragen zu seiner Förderung bei.“ (Stern 1923, S. 65)

Und ein Zweites wird deutlich: Handeln als menschliche Tätigkeit meint Aktives und Passives gleichermaßen, sodass einem/r Handelnden zugleich ein/e Erleidende/r gegenüber steht ( z.B. Aristoteles, NE, 1110 a 1-5; Arendt 1958/2014, S. 236f; Ricoeur 1990/2005, S. 192f). Auf dieses Verhältnis und die Bedeutung im Rahmen der Personalität des Menschen wird noch im Teil 3 zurück zukommen sein.

(2.2) Der von Ricoeur (1990/2005, S. 236) im Zuge seiner Überlegungen zur ethischen Ausrichtung des menschlichen Lebens ebenfalls genannte Aspekt ist jener der Gerechtigkeit, den der Autor im Zusammenhang mit der „Struktur des Zusammenlebens einer geschichtlichen Gemeinschaft […], die nicht auf zwischenmenschliche Beziehungen zurückgeführt werden kann und dennoch in einem bemerkenswerten Sinne an sie zurückgebunden ist“ angibt. Hier wird die Gerechtigkeit als Maß des Verteilens betrachtet (ebd., S. 244), was – und das liegt am Charakter der Öffentlichkeit – auf Basis einer unterstellten Gleichheit erfolgen müsse.

Wenn Arendt (z.B. 1958/2014, S. 214) deutlich macht, dass Handeln Unterscheiden meint, dann muss für gerechte Bezüge in pädagogischen Institutionen gefordert werden, dass – ganz im Sinne Plessners (1924/2015, S. 102) – Personen sich als „für einander gleich“ erfahren können. Eben weil institutionelle Bezüge nicht auf Überzeugungen oder emotionaler Verbundenheit beruhen (müssen) (ebd., S. 129), braucht es dieses Apriori: Menschen sollen in der öffentlichen Sphäre die gleiche Chance haben, für einander bedeutsam werden zu können. Dass in den Vorgängen der Selbstbestimmung nicht jede Person gleichermaßen für andere bedeutsam werden wird, ist kein Argument dagegen, sondern eines für demokratische Gemeinschaften.

Worauf Verteilungsgerechtigkeit von Bezüglichkeiten also abzielt, ist die Erfahrung der Möglichkeiten des Sich-Unterscheidens in einem Raum unterstellter prinzipieller Gleichheit, einem Raum in welchem das Angenommen-werden immer das Auswählen fundiert und die Verschiedenheit der Menschen in ihrer prinzipiellen Gleichheit ihr Korrektiv findet: Menschen erfahren sich als unterschiedliche Gleiche (Schneider 2016). Daraus lässt sich dann auch das gleiche Recht für einander wechselseitig bedeutsam werden zu können – das meint personale Resonanz – ableiten, was nicht mit dem Recht verwechselt werden darf, gleich bedeutsam sein zu können oder müssen.

3. Selbstbestimmung mittels Resonanz- und Anerkennungserfahrungen

Dieser Rahmen wird aber nicht bloß gesetzt, sondern dieser ergibt sich gleichermaßen aus der Möglichkeit, dass Menschen selbstbestimmt tätig sein können, wahrhaft miteinander handeln, eben Resonanzverhältnisse bzw. Bezüge herstellen.
Arendt (1958/2014, S. 220, Hervorh. RS) schreibt dazu: „Dies Risiko, als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu treten, kann nur auf sich nehmen, wer bereit ist, in diesem Miteinander auch künftig zu existieren, und das heißt, wer bereit ist, im Miteinander unter seinesgleichen sich zu bewegen. Aufschluss zu geben darüber, wer er ist, und auf die ursprüngliche Fremdheit dessen, der durch die Geburt als Neuankömmling in die Welt gekommen ist, zu verzichten. Diesen Verzicht kann sich aber weder das Für- noch das Gegeneinander leisten“.

Durch den Vorgang der Selbstbestimmung, das Schreiben einer Lebensgeschichte, gibt der Mensch sich als ein Wer preis. Hier schließt sich der Bogen dieses Vortrags zur anfänglichen Verhältnissetzung von Pädagogik, Inklusion und Demokratie. Die Selbstbestimmung einer Person als Wer ist – im öffentlichen Raum zwar mitunter eine unterstellte – jedenfalls aber eine Erfahrung von Resonanz. Wenn Arendt deutlich macht, dass die Konstituierung des Wer an Bezüge zwischen Person und Welt gebunden ist, dann kann diese Einschätzung mit Plessners (1928/1975, S. 303) These der „Mitwelt, in der nicht nur Mitverhältnisse herrschen, sondern das Mitverhältnis zur Konstitutionsform einer wirklichen Welt des ausdrücklichen Ich und Du verschmelzenden Wir geworden ist“, bestätigt werden.

Selbstbestimmung und d.h. „Zielimmanenz des Funktionierens“ (Stern 1924, S. 98) ist nur in Interdependenzen dieser Ganzheiten vorstellbar. Stern (ebd., S. 84-87) hat in seiner personalen Werttheorie im Rahmen der These der Introzeption diesen Zusammenhang betont und damit gezeigt, dass die Polarität von Handeln und Leiden, nicht dazu führen muss, dass ein Teil eines Bezugs zwangsweise versachlicht wird. Vielmehr ermöglicht die Vorstellung einer Kosmologie von Selbstwerten (Personen und Personoiden als personähnliche Ganzheiten), dass in Erfahrungen von Resonanz eben die Dualität von Mittel und Zweck aufgehoben und Versachlichungen lediglich als fragile Übergange zwischen Selbstbestimmungsmomenten aufgefasst werden können (ebd., S. 84ff, 108-117). Der Charakter der selbstwertigen Ganzheit einer Person steht damit nicht im Widerspruch zu ihrer Dienstbarkeit für fremde Selbstbestimmungsvorgänge, vielmehr ist dies eine Frage der Perspektive (vebd., S. 80f).

Ein resonanztheoretischer Fokus kann den Menschen als Person erkennen, insoweit hier ein „Ganzes Selbstbestimmung übt“ (ebd., S. 77) und diesen gleichzeitig in einer „übergeordneten Ganzheit“ (ebd., S. 80) verorten. Weil die Person sich der Welt eben nicht bloß konvergent zuwenden kann, sondern introzeptiv (ebd., S. 84f), muss diese anerkennen, dass neben der erstpersönlichen noch viele weitere Perspektive gegeben sind. Diese Vielzahl an Zentrierungen von Selbstwerten setzt voraus, dass reaktive und spontan-aktive Tätigkeiten sich abwechseln und so Bezüge zwischen Personen sowie Person und Welt aktuiert werden, die Resonanzerfahrungen ermöglichen. Selbstbeschränkung wird dabei ein wesentliches Moment von als dialogisch zu verstehenden Bildungsprozessen sein; ebenso wie Achtung und Für-Sorge, als Tätigkeiten nach innen und – in zweitem Falle – außen ( Ricoeur 1990/2005, Kap. 9, bes. S. 220, 235).

Eine Demokratisierung der Pädagogik setzt daher bei einer veränderten Perspektive auf den Menschen als Person, seiner Um-Welt und die vielfältigen Bezüge zwischen diesen an. Dabei gilt es diese Relationen daraufhin untersuchend zu regulieren, in wie weit diese das geglückte Leben zu unterstützen fähig sind, wozu es – so die These – der Resonanzerfahrungen im Sinne Rosas (2012, S. 9) bedarf: „Gelingende Weltbeziehungen sind solche, in denen die Welt den Handelnden Subjekten als ein antwortendes, atmendes, tragendes, in manchen Momenten auch wohlwollendes, entgegenkommendes oder ‚gütiges‘ ‚Resonanzsystem‘ erscheint.“
Denn diese Erfahrungen, so kann Aristoteles (NE, 1139 a 30ff) gefolgt werden, stellen ihrerseits bereits das gelingende Leben dar.

Literatur

  • Arendt, Hannah (2014): Vita activa. Oder: Vom tätigen Leben. München / Zürich: Piper (Ersterscheinung: 1958).
  • Aristoteles (Pol) (2012): Politik. In: Schütrumpf, Eckart (Übers.): Aristoteles. Politik. Hamburg: Meiner, S. 1-315.
  • Aristoteles (NE) (1985): Nikomachische Ethik. In: Bien, Günther (Hrsg.): Aristoteles. Nikomachische Ethik. Hamburg: Meiner, S. 1-261.
  • Benner, Dietrich (1980): Das Theorie-Praxis-Problem in der Erziehungswissenschaft und die Frage nach Prinzipien pädagogischen Denkens und Handelns. In: Zeitschrift für Pädagogik, 26, S. 485-497.
  • Benner, Dietrich (2005): Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problem-geschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim/ München: Juventa.
  • Bieri, Peter: Wie wäre es gebildet zu sein? 2005. URL: www.hwr-belin.de/fileadmin/downloads_internet/publikationen/Birie_. Gebildet_sein.pdf
  • Böhm, Winfried (2007): Urteilskraft und Person. In: Fuchs, Britta & Schönherr, Christoph (Hrsg.): Urteilskraft und Pädagogik. Beiträge zu einer pädagogischen Handlungstheorie. Würzburg: Ergon, S. 61-73.
  • Dewey, John (1925): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. In: Oelkers, Jürgen (Hrsg.) (1993): John Dewey. Demokratie und Erziehung. Weinheim/Basel: Beltz, S. 11-488.
  • Dewey, John (2007): Erfahrung und Natur. Frankfurt/Main: Suhrkamp. (Ersterscheinung: 1925).
  • Eberwein, Hans &Knauer, Sabine (2002): Integrationspädagogik als Ansatz zur Überwindung pädagogischer Kategorisierungen und schulischer Systeme. In: Eberwein, Hans & Knauer, Sabine (Hrsg.): Integrationspädagogik. Weinheim: Beltz, S. 17-35.
  • Feuser, Georg (2001): Prinzipien einer Inklusiven Pädagogik. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft, 2, S. 25-29.
  • Feuser, Georg (2005): Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und Aussonderung. Darmstadt: WBG.
  • Feuser, Georg (2013): Inklusive Bildung – ein pädagogisches Paradoxon. Vortragsmanuskript 2013. URL: www.georg-feuser.com/conpresso/_data/ Feuser_G_-_Inklusive_Bildung_-_ein_p_dagogisches_Paradoxon_ 17_07_2013.pdf.
  • Herbart, Johann Friedrich (1835): Umriss pädagogischer Vorlesungen. Esterhues (Hrsg.) (1964). Paderborn: Schöningh.
  • Humboldt, Wilhelm von (1792): Theorie der Bildung des Menschen. In: Flitner, Andreas & Giel, Klaus (Hrsg.) (1960): Wilhelm von Humboldt. Werke. Schriften zur Anthropologie und Geschichte (Bd. 1). Stuttgart: Klett-Cotta, S. 234-240.
  • Patry, Jean-Luc (2000): Kaktus und Salat. Zur Situationsspezifität in der Erziehung. In: Patry, Jean-Luc/ Riffert, Franz (Hrsg.): Situationsspezifität in pädagogischen Handlungsfeldern. Innsbruck: Studienverlag, S. 13-52.
  • Plessner, Helmuth (1975): Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. Berlin/ New York: de Gruyter. (Ersterscheinung: 1928).
  • Plessner, Helmuth (2015): Grenzen der Gemeinschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp. (Ersterscheinung: 1924).
  • Ricoeur, Paul (2005): Das Selbst als ein Anderer. München: Fink. (Ersterscheinung: 1990).
  • Rosa, Hartmut (2012): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik. Frankfurt/ Main: Suhrkamp.
  • Schneider, Robert (2016): Heterogenisierung in der Schule? Pädagogische Antwortversuche auf Basis gerechtigkeitstheoretischer Überlegungen. In: Zeitschrift für Inklusion, 1. URL: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/340/284 [01/06/2016].
  • Stern, William (1923): Die menschliche Persönlichkeit (= Person und Sache. System des kritischen Personalismus. Bd. 2). Leipzig: Ambrosius Barth.
  • Stern, William(1924): Wertphilosophie (=Person und Sache. System des kritischen Personalismus. Bd. 3). Leipzig: Ambrosius Barth.

Über den Autor

Prof. Dr. Robert Schneider: Lehrgebiet: Inklusionspädagogik, Pädagogische Hochschule Salzburg – Stefan Zweig (Österreich). Kontakt: robert.schneider@phsalzburg.at

Endnoten

i Diese Bürgerinnen und Bürger sind in der Aristotelischen Politik (1275 a-b 15) nicht jene unseres heutigen Verständnisses, vielmehr handelt es sich eigentlich ja nur um Bürger. Zudem sind davon ausgeschlossen: sogenannte Fremde, Unfreie, Kinder und Arbeiter.

ii Bewusst wird hier nicht der Begriff Inklusion verwendet, sondern mit ‚Inkludieren‘ anzudeuten versucht, dass hier ein eventuell auch ungewollter und ungewünschter, gar gewaltsamer Akt der Vereinnahmung erlitten wird.

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